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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0255

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ritz Kochers Aufsätze

nennt fich ein kleines Buch, das von Robert Walser ge-
schrieben und von seinem Bruder Karl Walser mit Feder-
zeichnungen verziert ist. Man kennt den Maler, der sich mit
seinen bizarren Phantasien wunderbar genug zwischen dem hand-
fcsten Impressionismus der Berliner Sezession ausnimmt. Der
Bruder ist ganz von seiner Art, naiv und frühreif, prätentiös und
bescheiden zugleich, voller Phantasie und drolliger Einfälle. Daß
er allerlei Betrachtungen über Freundschaft, Musik, Vaterland, Höf-
lichkeit und Beruf, über den Kommis, den Maler und den Wald
in Form von Schulaufsätzen bringt, die ein altkluger und über-
reifer Iunge geschrieben haben könnte: ist keine Laune, sondern
ein Stück Wesensausdruck von einem Menschen, deffen Seele
glcichsam zu schlank und rasch in die moderne Welt aufgeschossen
trotz tiefer Einsichten noch im natürlichen Besitz ihrer Naivität
ist, während sie sich deffen schon bewußt wird und damit cin
kokettes Spiel beginnt. Weil hinter diesem Spiel aber der Ernst
eines jungen Menschen steht, der sein Leben lächelnd mitverspielt:
so ist man oft genug erschrocken vor einem anscheinend leicht-
sinnig hingeschriebenen und doch vieldeutigen Wort.

Das Kapitel über den Maler ist vielleicht nicht einmal das
beste; es liegt uns in dieser Zeitschrift am nächsten; so werden
einige Proben daraus mitgeteilt, die ganz übcrraschend sind und
als tatsächliche Niederschriften eines eigenartigen Künstlers wirken.
Man möchte meinen, daß hierin der Malerbruder auch ein wenig
mitgewirkt hat. Ich hoffe wohl, es wird der eine oder andere
so viel Sinn für eine ausgebildete Sprache haben, um nach dem
ganzcn Büchlein zu greifen. Es erschien im Inselverlag und
kostet Z,5O Mark. S.

^tmil Nolde.

In den Ausstellungen der letztcn Iahre, zuletzt in der
Schwarzweiß-Ausstellung des Künstlerbundes, ist dieser Künstler —
wenn auch den meisten unliebsam — immerhin aufgefallen. Cin
halber Däne von der Insel Alsen, der durch K. E. Osthaus in Soest
angesiedelt wurde; ein einsamer, schwer mit seinen Ausdrucksmitteln
ringender Künstler, der gleichzeitig als Stümper verhöhnt wie als
originelle Begabung gepriesen wird; irgendwo las ich sogar, daß ein
Kritiker das anständige Publikum gegen die Ausstellung derartiger
Schmierereien zum Boykott aufrief: also es könnte was daran sein.

Ich kenne hauptsächlich nur den Menschen, einen stillen ver-
träumten Mann, der seine Leidenschaft in einer zur Schau ge-
tragenen Schläfrigkeit verbirgt, ein klarer und scharfer Kopf, ein
feines Gefühl und eine innige Seele! so möchte ich wohl meinen,
es müßte etwas sein mit dem, was er uns vorlegt. Ünd wenn
ich die lange Folge seiner Nadierungen und Holzschnitte überlege:
es ist gewiß zu viel Willkür und Aufälligkeit, manchmal fast krause
Spielerei in seinen Phantasien; aber so ein Blatt wie die hier
beigelegte Nadicrung, das Porträt seiner Frau, ist dann doch ein
so feines Ding, daß man auch vor seinen andern Schöpfungen
das erste Lächeln überwinden und abwarten sollte: ob der Künstler
nicht ganz etwas anderes will, als es uns scheint. S.

te geflickte Brarit

von Goethe odec „Der Triumph der Empfindsamkeit",
wer kennt diese tolle Dichtung genau, oder wer hätte geglaubt,
daß sie ein modernes Publikum entzücken könnte? Nichts schien
veralteter als dieses freche Scherzspiel Goethcs gegen eine Cmp-
findsamkeit, die wir modernen Menschen — hm, sagte Louise
Dumont am Düffeldorfer Schauspielhaus, oder wars ihr Gatte
Gustav Lindemann, yder wars wer sonst: Empfindsamkeit? Sollten
wir das nicht sehr reichlich haben, z. B. Stefan George in seincm
Kreis; nur ganz auf neue Weise? Und wäre es dann wohl un-
goethisch, dies einmal ganz auf neue Weise mit dem alten Text
und einigen Zusätzen zu karikieren? Das war sehr frech und
scherzhaft und wurde mit einer Laune gemacht, daß man nur
immer wünschte: dcr Papa Goethe säße dabei und sahe, wic-
viel von seinem Geist doch so allmählich in die Menschen gefahren
ist, daß sie es wagen, seiner ausdrücklichen Vorschrift entsprechend,
da allerhand hinzuzudichten.

Ich sah einen Philologen danach blaß - beinahe Gottes-
lästerung; und ein ganz ernsthafter Mann hat mir versichert, daß
irgend jemand eine Derspottung der Düffeldorfer Akademie darin

gesehen hätte. Das wäre wirklich saudumm und man könnte
das Wort des Düsseldorfir Akademie-Direktors Peter von Cornelius:
„Die Akademien sind die Hydra, so bekämpft werden muß, ehe
ein Anfang, ein neues Fundament zu einer beffcren Kunst gelegt
werden kann," als ganz veraltet beiseite legen; denn gegen
irgend etwas, hat irgendwer gesagt (ich will den Mann nicht de-
nunzieren), kämpfen die Götter selbst vergebens.

Das Düffeldorfer Schauspielhaus aber hat gemeint, dennoch
kämpfen zu müssen, und hat in seiner Theaterzeitung, den „Masken",
eine Artikelserie über die Düffeldorfer kegelschiebenden Maler be-
gonnen, was wiederum saudumm war;und außerdem keine besondere
Kenntnis der Düsseldorfer Kunstverhältniffe verriet. Es wäre nun
sehr schade, wenn durch eine so verdoppelte Dummheit die feine
Wirkung Goethes nachträglich verstänkert würde. Nicht alle Maler
in Düffeldorf sind so stark bei Muskel, daß sie Tag und Nacht,
immerfort kegeln können, wie in den „Masken" zu lesen war,
und nicht alle Philologen fühlen sich berufen, über die Ehre
Goethes zu wachen: wenn mich nicht alles täuscht, ist die Än-
erkennung ihrer Musterbühne bei den Düffeldorfern im Wachsen.
Helfen wir ihnen doch lieber, den tapferen Leutchen, wenn sie
nervös geworden sind, anstatt es selber zu werden; und besinnen
wir uns jeden Tag wenigstens drei oder vier Minuten, daß alles,
was in einer Stadt Tüchtiges geschieht, auch zur Ehre der Stadt
geschieht. Den Musterbühnenmann Nr. l in Düffeldorf Immer-
mann hat man in Bronze vors Stadttheater gestellt, nachdem
man ihn selber hatte verkrachen laffen. Machen wirs bei der
Dumont umgekehrt. P.

ie Baukunst-Ausstellung

in Frankfurt a. M. brachte einen sonderbaren Zwiespalt
an den Tag: daß die Stadt, die ziemlich charakterlos
das schönste Steinmaterial verbaut hat, eine Neihe sehr tüchtiger
Architekten besitzt, die in Entwürfen wie in einzelnen ausgeführten
Bauten das Aeug zu haben scheinen, der Stadt im nächsten
Iahrzehnt beffere Architekturen zu geben, als sie im vergangenen
gewann. Aber das war gewiß der Zweck der Übung: nachdem
durch die Berufung von Schaumann in die städtische Bauleitung
ein frischer §ug gekommen war, haben die verstreuten Einzel-
existenzen der Baukunst auch Mut bekommen: sich mit den Leuten
vom Stadtbauamt auf dem Plan zu zeigen: Holla, ihr Frank-
furter! An uns liegts nicht, wenns nun nicht beffer wird! Wir
haben das Unsrige gelernt, und es bewiesen, wir sind nun da
und warten. Ein Stadtbauamt hat ja immer zu tun; aber auch
wir andern möchten nicht nur Hinterhäuser und draußen Villen
bauen. Laßt uns heran, und ihr sollt sehen: wir machen auch
ein befferes Frankfurt als es jetzt aussieht, wenn man die Kaiser-
straße herunter kommt.

Vorläufig haben die Rheinlande die Ohren aufgemacht, sie
möchten in einer der nächsten Nummern allerhand zeigen, was los ist.

S.

nsere Musikbeilage.

Mozart verhält sich auch im Liede als Dramatiker wehr,
denn als Lyriker. Dies will sagen! diese Gebilde sind nicht un-
mittelbare Äußerungen eines unwillkürlichen Gefühls des-Kom-
ponisten, sondern dieser verkleidet sich in eine nur vorgestellte Person
in erträumter Situation und redet sozusagen durch deren Maske.
Die Sache geht nicht direkt, sondern durch objektive Phantasie
hindurch vor sich. Der charakteristische Scherz, der unsere heutige
Musikbeilage bildet, möchte dramatisch aufgeführt — natürlich
nicht im Theater, sondern in lustiger Gesellschaft — am besten
wirken. Die als „Alte" verkleidete junge Darstellerin darf ein
wenig karikieren, wie Mozart durch die Vorschrift „Ein wemg
durch die Nase" selbst andeutet, wird aber um so erheiterndcr
wirken, je mehr sie selbst in Dortrag und Gcbärden scheinbaren
Crnst zur Schau trägt. Die Gesten ergeben sich leicht aus Wort
und Ton. „§u meiner §eit" mit wehmütig resigniertem Kopf-
nicken. Bei „Doch alles mit Bescheidenheit" hebt sich warnend
der Finger, bcim Refrain „O gute (schlimme) Zeit" falten sich
begeistert oder entsetzt die Hände vor dem Gesicht. Die Tonsprache,
deren sich Mozart zur Charaktcristik seiner Alten bedient, entlehnt
gewiffe Wcndvngen der älteren Schule, etwa Händels und dessen
Zeitgenoffen. Unwillkürlich sällt einem dabei die durch das selbe
Kunstmittel herbeigeführte Wagnersche Charakteristik seiner ehren-
festen Meistersinger (Kothners Tabulaturvorlesung u. a.) ein. M.

Herausgeber W. Schäfcr, Verlag der Rheinlande G. m. b. H., Druck A. Bagel, Düsseldorf.
 
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