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der Thatsachen, sogar zu den vblksthümlichsten und gefeiertsten Marienbildern Deutsch-
lands gehört.
In seinen Gegenständen ist Kranach ausserordentlich mannigfaltig, er zeugt damit von
der erweiterten Bildung seiner Zeit, von dem neuen frischen Grift ins Leben. Im Gemälde
ist er an stofflichem Reichthum sogar Dürer überlegen, aber es besitzt dies bei ihm nicht die
Bedeutung wie bei jenem. Vor allem schon desshalb, weil Kranach hier wiederholt einfach
Dürer folgt, wie er andererseits in seinen Genrebildern mit Halbßguren entschieden nieder-
ländische Anregungen erkennen lässs, hauptsächlich aber aus dem Grunde, weil er keines-
wegs gleich Dürer und Holbein für die neuen Stoffe sich eine selbständige Sprache zu
bilden, ihrem spezifischen künstlerischen Reiz nachzugehen versucht.
Dürer's Stich von Adam und Eva (1504), nicht minder die lebensgrossen Gemälde
derselben (1507) sind Marksteine für das Studium des Nackten in der deutschen Kunst und
würdig schliesst sich ihnen die Lukretia (1518) an, die daran erinnert, welch wesentliche
Anregung zu diesen Studien Dürer seit seiner Jugend die antiken Stoffe boten. Von
Kranach's zahlreichen Darstellungen von Adam und Eva kann man ein Gleiches gewiss
nicht behaupten, weder von seinen kleinen Figürchen noch von den lebensgrossen (1528
Uffizien) und seine Lukretia (1524), die jetzt als Pendant zu der Dürer's in der alten
Pinakothek aufgehängt ist, zeigt schlagend, wie weit er gerade im entscheidenden Problem
des Aktstudiums hinter seinem Vorgänger zurückblieb. Dürer's Lukretia ist gewiss kein
gefälliges Kunstwerk, es ist daher nicht leicht ihr gerecht zu werden, Kranach's Lukretia
aber zeigt den Weg dazu; denn wer Dürer's Gemälde eingehend mit der zwar gefälligeren
aber leeren und Rachen Figur Kranach's vergleicht, muss erkennen, wie Bedeutendes Dürer's
gediegenes Formstudium doch auch hier geleistet.
Kranach, obwohl nur ein Jahr jünger als Dürer, nimmt hier eine ähnliche Stellung
ein wie dessen Nachfolger. Es ist wichtig, dass durch ihn die gegenständliche Bereicherung
der Kunst weiter ausgedehnt und verbreitet wurde, aber in ihren eigensten Problemen erfasst
und vertieft wurde sie nicht durch ihn. Jedoch gewinnt er neuen wie alten Vorwürfen
manchmal einen eigentümlichen Reiz ab, wenn er sie seiner Eigenart entsprechend ge-
staltet, aber diese erscheint in ihrer harmlosen Liebenswürdigkeit, die den besten Theil von
Kranach's Volkstümlichkeit begründet, mehr als ein freierer Ausspruch mittelalterlicher
Naivität, denn als ein Zug, der bedeutend in die Zukunft weist. Es gilt dies ebensogut von
seinem Paradies (1530 Wien), das noch ganz nach Art der deutschen Maler des Mittelalters
von Schöpfung, Paradies, Sündenfall und der Vertreibung aus dem Garten Eden erzählt,
wie von Apoll und Diana (1530 Berlin), von dem Urteil des Paris (1530 Karlsruhe)
oder von dem so grosser Popularität sich erfreuenden Jungbrunnen (1546 Berlin). Auch
Kranach's Landschaften und Thierbilder zeigen durchaus keine eigentlich neue Auffassung,
noch viel weniger ein durchweg selbständiges ernstes Studium der Natur wie die Dürer's,
aber wir freuen uns bei ihnen, für die namentlich die Jagdstücke charakteristisch sind, an
all den bunten Einzelheiten zumal der fröhlich sich tummelnden Thierwelt.
Ein epochemachender Meister war Kranach nicht, aber seine besten Werke bilden
einen sehr ansprechenden und vielfach charakteristischen Zug im Gesammtbilde der deutschen
Malerei der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In Dürer und Holbein erschöpft sich eben
die Malerei der deutschen Renaissance nicht, obgleich sie deren grösste Meister sind und es
war sehr wesentlich, dass andere Meister das, was jene wollten, weiter ausführten und ander-
 
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