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Ritter, Stefan; Rummel, Philipp; Becker, Thomas; Ganschow, Thomas; Godbillon, Isabelle; Großmann, Sonja; Herb, Christiane; Kalogeroudi, Eleni; Meyr, Martina
Archäologische Untersuchungen zur Siedlungsgeschichte von Thugga: die Ausgrabungen südlich der Maison du Trifolium 2001-2003 — Thvgga, Band 3: Wiesbaden, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.42449#0047
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Spätantike und frühes Mittelalter

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wähnt235. Nach der byzantinischen Eroberung wurde über dem
ehemaligen Forum eine Festung errichtet236, deren Anlage eben-
so wie frühmittelalterliche Fundkeramik aus dem Stadtzentrum
zeigt237, dass der Ort trotz Reduzierung der bebauten Fläche
kontinuierlich bis ins Mittelalter besiedelt blieb.
In Hinsicht auf die wirtschaftliche Entwicklung ist zu beob-
achten, dass aus unserem Grabungsareal in Thugga im Gegen-
satz zu Küstenstädten wie Karthago oder Neapolis (Nabeul)
nur wenige Belege für überregionalen Import aus dem östli-
chen Mittelmeerraum stammen. Mit je einem Fragment sind
die von Riley am karthagischen Fundmaterial definierten Am-
phorentypen Late Roman (LRA) 1 (Kat. K 141 aus 246) und
LRA 3a (Kat. K 142; K 143 aus 190) sowie der Typ Kapitän
II (Kat. K 140 aus 243) belegt. In ihnen wurde wohl Wein aus
dem östlichen Mittelmeerraum nach Thugga transportiert. In
jüngeren Befunden fehlen auch die dekorierten Formen von
nord- und zentraltunesischer ARS, die so charakteristisch für
diese afrikanische Produktionsphase sind und weiträumig im
römischen Reich verteilt wurden. Dies entspricht weitestge-
hend den Ergebnissen des italienischen Survey-Projektes in der
Umgebung von Thugga238.
Bisher wurde als Erklärung für Veränderungen in der spät-
antiken afrikanischen Wirtschaft meist das wahrscheinlich mit
der vandalischen Eroberung in Verbindung stehende Ende des
annona-Systems um die Mitte des 5. Jh. n. Chr. herangezo-
gen239. An zentraler Stelle dieser Diskussion stehen Ergebnisse
der internationalen UNESCO-Grabungen in Karthago, aber
auch der verschiedenen Survey-Projekte in Tunesien. Bei der
Auswertung des Fundmaterials der britischen und der italie-
nischen Grabungen in Karthago zeigte sich, dass Amphoren
nordafrikanischer Herkunft in der ersten Hälfte des 5. Jhs.
n. Chr. im Vergleich zur zweiten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. pro-
zentual abnehmen, während Importamphoren aus dem östli-
chen Mittelmeerraum zunehmen240. Tatsächlich nehmen ab
420/430 n. Chr. Funde des Amphorentyps LRA 1 bzw. Keay
LIII, in dem Öl und vor allem Wein aus zypriotischer und
nordsyrischer Produktion transportiert wurde, deutlich zu.
Auch die Typen LRA 3 aus Kleinasien/der Ägäis und LRA 5 aus
Palästina/Ägypten, in denen wahrscheinlich Wein transportiert
wurde, werden im 5. Jh. n. Chr. häufiger. Nicht so zahlreich,
aber durchaus vertreten sind Amphoren des Typs LRA 4, in
denen der berühmte Wein aus Gaza, der bei Sidonius Apolli-
naris, Cassiodor, Gregor von Tours, Venantius Fortunatus oder
Isidor von Sevilla erwähnt ist, verhandelt wurde. Auf der bri-
tischen Grabung kommen östliche Transportgefäße im letzten
Viertel des 5. Jhs. v. Chr. auf einen prozentualen Anteil von bis
235 Moderan 2003, 87.
236 Prok. aed. 6,5,12.15; Grüner 2002, 62.
237 Die frühmittelalterliche Keramik von Dougga wird derzeit von Ch.
Touhiri im Rahmen einer Doktorarbeit zum Frühmittelalter in Nordwest-
Tunesien ausgewertet.
238 Ciotola 2000, 66.
239 Zu Produktion und Austausch in der Spätantike vgl. mit weiterer Lit.:
Panella 1993, Reynolds 1995, Bonifay 2004.
240 Reynolds 1995, 185 f. Appendix B.6. — s. zu den einzelnen Befunden:
Riley 1981, 85-124, hier 115-122; Panella 1983, 53-73; Fulford 1984, 225-
262, hier 258; Anselmino u. a. 1986, 163-195, hier 177-179; Mackensen
1999, 545—565. -s. zu den afrikanischen Amphoren: Keay 1998, 141—155; zu
den östlichen Amphoren: Arthur 1998, 157-183.

zu einem Viertel aller Amphoren. Dem gegenüber stehen etwa
50 % Amphoren aus afrikanischer Produktion. Bei dem Rest
handelt es sich Amphoren unbestimmter Herkunft241.
Da der vermehrte Import östlicher Waren seit dem zweiten
Viertel des 5. Jhs. n. Chr. zeitlich ungefähr mit dem Auftre-
ten der Vandalen in Nordafrika korrespondiert, wurde diese
Beobachtung seit den 1980er Jahren immer wieder mit der
vandalischen Eroberung Karthagos auf der einen und damit
zusammenhängenden Veränderungen des annona-Systems auf
der anderen Seite in Verbindung gebracht. Manche Archäo-
logen haben hierin einen Niedergang der nordafrikanischen
Ökonomie unter vandalischer Herrschaft vermutet, in dessen
Folge vermehrt östliche Produkte eingeführt werden mussten,
um die Versorgung der Küstenstädte sicherzustellen242. Ande-
re vermuteten, afrikanische Produkte hätten nach dem Ende
der annona zu reellen Preisen vermarktet werden können und
so den Reichtum Nordafrikas erheblich vermehrt. Dies habe
dann wiederum die zusätzliche Einfuhr östlicher Luxusgüter
ermöglicht243. Beide Modelle schließen sich nicht grundsätz-
lich gegenseitig aus. Es erscheint durchaus überzeugend, dass
mit dem Wegfall der kaiserlichen Subventionierung von Pro-
duktion und Transport im Binnenland zunehmend Schwierig-
keiten aufgetreten sind, die den Warenstrom in die Küsten-
städte haben abnehmen lassen. Bei punktuellen Vergleichen
des Fundmaterials binnenländischer städtischer Siedlungen
und Hafenstädten zeigte sich, dass in der vandalischen Epo-
che importierte Waren im Landesinneren seltener anzutreffen
sind als an der Küste244. Betrachtet man die Ergebnisse der Ke-
ramikuntersuchungen in Aradi (Sidi Jdidi, Tunesien), einem
Ort, der nur ca. 15 km von der Küste entfernt ist und der
fast ausschließlich mit lokalen Gütern versorgt wurde245, im
Vergleich mit den nicht weit entfernt liegenden Küstenstäd-
ten Pupput (Hammamet, Tunesien) und Neapolis (Nabeul,
Tunesien) zeigt sich, dass auch schon küstennahe Orte ihrem
Keramikspektrum nach als „ville de FinterieuG246 beschrieben
werden können. Für Thugga gilt dies selbstredend noch viel
mehr. Gegen die These eines deutlichen Abbruchs des Kontak-
tes zwischen Küste und Binnenland spricht die Beobachtung,
dass afrikanisches Tafelgeschirr, die sogenannte African Red
Slipware (ARS) aus binnenländischer Produktion, ähnlich wie
die großen Massen an afrikanischem Öl und Getreide, weiter-
hin zumindest in den westlichen Mittelmeerraum exportiert
wurde. Zu denken ist auch an die im Hafen von Karthago ge-
fundenen Ostraka aus dem späten 4. Jh. n. Chr., auf denen
das aus dem Landesinneren nach Karthago transportierte Öl in
Schläuchen abgerechnet ist247. Aus dem Fehlen von Amphoren
im Landesinneren sollten daher vorerst keine zu weitgehenden
Schlüsse gezogen werden, da die lokale Produktion und Ver-
teilung sowie der Import von Öl und vor allem Wein keine
241 Fulford - Peacock 1984, 258-259; Reynolds 1995, 185.
242 Panella 1983, 62 f.; Fulford 1983, 5—14.
243 Keay 1984, 423; Fulford 1984, 259. - s. hierzu Ch. Courtois, der einen
ähnlichen Effekt im Zusammenhang der Revolte Gildos in der 390er-Jahren
vermutet: Courtois 1955, 145—146.
244 s. hierzu etwa die Ergebnisse des italienischen Dougga-Surveys: Ciotola
2000, 66.
245 BenAbedu.a. 2004, 315.
246 Ben Abed u. a. 2004, 332.
247 Pena1998,117-238.
 
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