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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0028
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I. Charakter der liiederländifchen und der Antwerpen’fchen Malerfchule,

Einige diefer Fragen werden wir im Laufe diefer Gefchichte zu be-
fprechen genöthigt fein; aber hier wie fonft wollen wir uns nicht in allgemeine
Betrachtungen vertiefen, die von weit auseinander gehender Art find, häufig
ebenfo fehl' aus fcholaftifchen Liebhabereien wie aus dem Drang nach Wahrheit
entfpringen und mehr auf dem Spiel der Einbildungskraft als auf feften Gründen ruhen.

Doch wollen wir einige allgemeine Erfcheinungen berühren, die das
niederländifche Kunftleben, überhaupt und insbefondere das Antwerpen’ fche
kennzeichnen, und einige gefchichtliche Thatfachen und Eigenthiimlichkeiten des
in Rede flehenden Gebietes, die auf Leben und Erfcheinungen Einflufs gehabt
haben, als Einleitung vorausfchicken. Es mufs aber aufs allerbeftimmtefte
erklärt werden: welche.Einwirkung Lage und Klima, fociales und politifches
Leben auf unfere Maler auch immer gehabt haben mögen, fo liegt doch etwas
von diefen Einflüffen Unabhängiges vor, was durch denfelben zwar gereift
aber nicht erzeugt werden konnte: der Kunftfinn der Bevölkerung und die eigen-
thiimliche Schaffenskraft der Künftler. Das aber war die Saat, aus welcher
die vlämifche Kunft hervorfprofste, und welcher fie Wefen, Kraft und Eigen-
art zu danken hat. Menfchen und Elemente, der Boden und deffen Cultur
konnten die Pflanze in ihrem Wachsthum verzögern oder befördern, fie gerade
oder krumm, höher in die Luft oder mehr zur Erde gebeugt fleh entwickeln
laffen: die Pflanze felbft aber war in ihrer Saat fchou vorhanden, und diefe
Saat lag in der Tiefe des liiederländifchen und Antwerpen’fchen Naturell’s.

Englands Lage und Klima unterfcheidet fleh nicht wefentlich von dem
der Niederlande und feine politifchen wie focialen Einrichtungen scheinen fo-
gar noch vortheilhafter für die Kunft als die diefsfeitigen, und doch hat fleh
das Land keiner grofsen Maler zu rühmen, fo üppig auch deffen Literatur
gedeihen mochte. Die Hanfaftädte an der Elbe, der Wefer und dem Rhein
waren in jedem Betracht Schwefterftädte der Hafenplätze an den Mündungen
von Schelde und Rhein; fie erzogen jedoch keine eigene Kunft, und wenn eine
folche, wie in Köln, in einer gewiffen Zeit auftrat, fo trieb fie keine Wurzeln
und welkte nach kurzer Bliithe hin.

Dafs der den Niederlanden eigenthümliche Kunftfinn wohl am meiften
in der Malerei feinen entfprechenden Ausdruck fand, erhellt aus der Thatfache,
dafs die Niederlande in diefem Kunftzweig über die meiften anderen Völker fleh
erheben, während fie in der Literatur unter vielen derfelben ftehen. Welche
Verehrung auch der Belgier oder Holländer vor feinen Dichtern der Gegenwart
wie früherer Zeiten fühlen mag, fo mufs er doch zugeben, dafs auch die beften von
ihnen keinen Weltruhm geniefsen, und dafs die Schriftfteller zweiten Ranges fleh
nicht über die Mittelmäfsigkeit erheben. Den beften liiederländifchen Malern
dagegen ftehen vielleicht ebenbürtige aber keine überlegenen Meifter in ganz
Europa gegenüber, und mancher felbft minder anfehnliche Meifter befitzt noch
Kraft und Urfprünglichkeit der Begabung genug, um anderwärts als ein Talent
erften Ranges gelten zu können.

Noch heutzutage finden wir, dafs Gefchick und Vorliebe für die
Malerei in den Niederlanden keine zufällige Erfcheinung, nichts Angelerntes,
fondern eine angeborne und gleichfam erbliche Gabe ift. Die einheimifchen
Dürften von der Palette find in Antwerpen beffer bekannt, als die Könige
und Kaifer, welche über diefe Lande geherrfcht haben, das Volk hat durch
feine von Gefchlecht zu Gefchlecht überlieferten Legenden die Namen jener
mit Unfterblichkeit geftempelt und fie zu feinen eigentlichen, geliebten und
verehrten Helden gemacht. Man lehrt ein Volk wohl die Gefchiche feiner
Künftler, aber man lehrt es nicht, fie mit Legenden zu umgeben: Diefs thut
es nur aus fielt felbft heraus, aus eigener Luft und Verehrung,
 
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