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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0029
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Land und Leute.

3

Man mufs nur fehen, wie die Einheimifchen beiderlei Gefchlechts, Alt
und Jung, Reich und Arm, Sonntag für Sonntag fich ins Mufeum zu Antwerpen
drängen und zwar ohne Anleitung und Aufforderung, man mufs nur hören,
wie fie fich in den belgifchen Triennalausftellungen über die Werke der leben-
den Maler ftreiten, man mufs nur beobachten, mit welchem Feuer fie fich da-
iiber ausfprechen, wie fie diefelben geniefsen ohne fich fattfehen zu können,
fie lieben ohne dabei irgend welchen Vortheil zu haben, nur aus eigenem
Drang, aus angebornem Bedürfniffe und mit natürlicher Anlage, und man wird
begreifen, dafs die Kunft hier ein einheimifches Gewächs iE, das man nur
nicht hemmen darf um es reiche und gefunde Früchte tragen zu fehen.

Wir haben in Antwerpen mehr als einen Jungen kennen gelernt, der
zu zeichnen begann, ehe er noch ordentlich fchreiben konnte, und der alles
Papier vollkritzelte wie das Fränzchen im „Wie man Maler wird,“* oder alle
Stallwände vollzeichnete wie der Kuhhirt, von welchem die Volksüberlieferung
und van Beers in feinem „Koftkind“** erzählt. Diefe Knaben machten fo
ihrem unwiderftehlichen Kunftfinn und Schaffensdrang Luft, wie die Vögel
auf den Zweigen zu fingen beginnen, ohne dafs jemand anderer als Mutter
Natur fie jemals in der Mufik unterwiefea. Aus diefen Kindern erwachten
dann die einheimifchen grofsen Meifter, in ihren jungen Fingern prickelt die
vorälterliche Liebe zu Zeichenftift und Pinfel, in ihren jugendlichen Herzen
fprüht das heilige Feuer, das in den Heroen der Palette brannte; und die
Neigung ift ihnen von Kindesbeinen an eigen, als hätten fie fie aus der Mutter
Bruft, aus dem Boden auf dem fie ihre erften Schritte verfuchten oder aus der
Luft, die ihr erfter Athemzug einfog, gezogen.

Fragen wir nun nach den charakteriftifchen Eigenthümlichkeiten der
niederländifchen Malerei, welche ihren ganzen Entwicklungsgang bedingen, fo
treten uns zwei Grundzüge entgegen, welche fie von den Schulen anderer
Länder unterfcheiden: l?arbe und Unmittelbarkeit nach dem Leben.

Die niederländifche Schule verdient während ihres ganzen Beftandes den
Namen einer Coloriften-Schule. Jeder einzelne modificirt feine Farbenfcala auf
feine Weife: diefer wählt fie voller, jener blaffer, der eine bunter, der andere
minder abwechfelnd, einer glänzender, ein anderer ruhiger: alle aber haben eine
unverkennbare Vorliebe, dem Auge durch Anwendung von vollen, lichten,
lachenden Farben zu fchmeicheln. Alle unter ihnen hervorragenden Künftler
wiffen ihre reichen Töne in eine glückliche Uebereinftimmung und durch zarte
Uebergänge in Verbindung zu bringen, fo dafs eine wohlthuende Harmonie
aus ihren Stücken quillt, nicht erreicht durch Abfchwächung und Dämpfung
des Tones, fondern durch das Gleichgewicht zwifclren den verfchiedenen kräftigen
Tinten und durch das Verbinden der contraftirenden Farben.

Unteres Bediinkens nicht minder hervorhebenswerth erfcheint, obwohl es
weniger allgemein betont wird, dafs Farbe und Lichtführung untrennbar find,
und dafs das Licht in der niederländifchen Malerei vielleicht eine noch gröfsere
Rolle fpielt, als die Farbe. Zartheit und Fülle find die Häupteigentbümlichkeiten
diefes Lichts. Es tritt nicht mit der gleichmäfsig vollen Kraft, welche es in
den Werken der älteren niederländifchen und italienifchen Meifter befitzt, nicht
in Verbindung mit den fchweren Schatten, die es bei den fpäteren Eidlichen
Malern wirft, bei den vlämifchen Künftlern auf; fondern Alles durchfunkelnd,
erwärmend und in Glanz hüllend, fehen wir es ftrahlend über das Ganze hin-

* H. CoNsclENCE, Hoc men fchilder wordt. 5. Uitg. Antw. 1857, deutlich von M. Diepen-
brock. Regensb. 1845. Eine wahre Gefchichte von einem noch lebenden Maler.

Jan van Beers, de Beßedelhtg (Levensbeeiden),

I*
 
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