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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0038
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II, Die älteren Niederländischen Maler,

Ein ftreng abgefchloffenes und dabei kräftig aufgewecktes Leben führten alle,
und das Schicksal vieler war im Mittelalter wirklich merkwürdig. Der Fall der
einen bedeutete das Emporkommen der andern und der Wohlftand, Wie die
Bltithe von Wiffenfchaft und Kunft wandelten von diefer Stadt in jene, von
der einen Provinz in die andere.

Erft war Weft-Flandern, wo der ältefte Sitz der niederländifchen Cultur,
an der Reihe. In Brügge blühte der auswärtige Handel in Verbindung mit der
einheimifchen Induftrie früher als anderswo, und hier ftrömte denn auch zu-
fammen, was der Wohlftand an Genüffen für Körper und Geift bieten kann.
Zu Anfang des 14. Jahrhunderts war die Stadt der erfte Seehafen des weltlichen
Europa, fie ftand in Beziehung zur ganzen damals bekannten Welt. In ihren
Mauern wohnten Kaufleute von Siebzehn fremden Ländern, ihre Kanäle waren
mit Schiffen, ihre Magazine mit köftlichen Waaren gefüllt. Die Pracht, welche
ihre Bürger entfalteten, war im Verhältnisse zu ihrem Reichthum. Jedermann
kennt das Wort der ftolzen Johanna von Navarra, welche als fie 1301 ihren
Triumph-Einzug in Brügge hielt, beim Anblick der reich aufgeputzten Frauen,
die fie bewillkommten, den fpitzigen Ausruf nicht unterdrücken konnte: »Ich
dachte hier die einzige Königin zu fein, und fehe deren mehr als hundert.«
Allbekannt ift auch," dafs in diefer Stadt die patriotifche Erhebung entftand,
die mit der Golden-Sporen-Schlacht und mit der völligen Niederlage Frankreichs
zu Land und See endigte, gröfstentheils herbeigeführt durch das männlich
muthige Auftreten der Briiggelinger und durch die erstaunlich grofsen Hülfs-
mittel, über welche fie zu verfügen hatten.

Diefe Blüthezeit war von langer Dauer. Nach einigen Jahrhunderten
von Auffchwung erreichte Brügge um 1450 unter den Herzogen von Burgund
den Höhenpunkt feines Glanzes. Aber unmittelbar darauf folgte ein Verfall,
der die Stadt viel Schneller zurückgehen liefs, als fie Sich früher gehoben hatte;
und der weftflandrifche Hafen mufste bald an den brabantifchen den Ehrentitel
des erften Handelsplatzes der Niederlande abgeben.

Der langwierige Krieg, welchen Brügge während des letzten Viertels
des XV. Jahrhunderts gegen Maximilian von Oefterreich, den Vormund feines
Sohnes Philipp des Schönen, Herzogs von Burgund führte, und in welchem
zwölf Jahre hindurch die Stadt und deren Umgebung verwiiftet und ausge-
phindert wurde, war Urfache, dafs diefer Fiirft Antwerpen vor Brügge be-
günstigte. Die Verfandung des Zwijn, des Brügge’fchen Vorhafens, wie die Um-
wandlung, die gegen das Ende des XV. Jahrhunderts in Folge der Entdeckung
von America und der Umfeglung des Cap’s der guten Hoffnung im Seever-
kehr Platz griff, befchleunigten ebenfo fehr die Ueberfiedlung des Flandels nach
der Scheldeftadt.

Einen anderen Ehrentitel noch mufste die ältefte Metropole des nieder-
ländifchen Handels an ihre jüngere Rivalin preisgeben. So lange Brügge der
Sitz von Wohlftand und Macht gewefen, hatte auch die geiftige Entwicklung
dafelbft ihre Stätte aufgefchlagen. Der weftvlämifche Dialekt war die allgemeine
Schriftfprache während der erften Jahrhunderte der niederländifchen Literatur.
Der gröfste Theil der älteften Gedichte und der Dichter, wie Reinaert de Vos,
Jacob van Maerlant, und unfere erften Volkslieder, find in Flandern zu Haufe,
und bis auf den heutigen Tag werden nach dem Namen diefes älteften Cultur-
gebictes die füdweftlichen Niederländer von Einheimifchen wie Fremden Vlaminger
genannt.

Auch die Malerei erreichte während des XV. und in der erften Hälfte
des XVI. Jahrhunderts in Brügge einen hohen Grad von Vollendung. Die
Stadt fah zwar in ihren Mauern keine hervorragende Maler geboren werden,
 
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