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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0111
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84 V. Quinten Massijs’ Nachfolger. — Die bürgerliche Schule des XYI. Jahrhunderts.

fechsmal fo hoch wie Häufer, und Häufer, nicht höher als Menfchen, begegnen
überall. Wie bei dem Vater ift die Farbe fchneidig und von ungedämpfter
und unbefchatteter "Kraft; der Grundton ift braun und davon gehen die bunten
Figürchen hell ab. Und ebenfo wie bei dem Vater könnten wir Gemälde des
Sohnes anführen, in welchen er beim Malen der Landfchaft oder der Dorfan-
fichten Auftrag und Farben feiner und gefchickter behandelt.

Dagegen unterfcheidet er fich von dem ältern Pieter Brueghel darin, dafs
er dem Moralifiren ganz aus dem Wege geht. Er gibt die alltägliche Wahrheit
nur im wirklichen Leben ohne Zuthat wieder, und in diefer Wahrheit fucht er
mit Vorliebe den eigenartigen Charakter des minderen Mannes und der minderen
Dinge, im Uebernatürlichen fucht er das Ungeheuerliche und Poffirliche.

Wir find mit dem jüngeren Brueghel bereits um ein Jahrhundert feit
Maflijs’ Tode vorgefchritten, in eine Periode, in welcher man im Allgemeinen be-
reits ganz anderen Idealen huldigte als Maffijs und die Brueghels. Es ift Zeit,
dafs wir der jüngeren Bewegung nachgehen; ehe wir jedoch diefs thun, dürfen
wir doch nicht unterlaßen, einen Blick hinter uns zu werfen, um zu fehen,
welchen Weg die Schule des Maffijs und der Nachfolger der nord-niederländifchen
Meifter in den Eidlichen Niederlanden von 1530—1637 zurückgelegt hatten.

Wir find weit von der Zeit entfernt, in welcher die erften vlämifchen
Maler in fich gekehrt und mit ehrfurchtsvoller Scheu ihre religiöfen Tafeln
malten und Zug für Zug, Punkt für Punkt ihre Geftalten aus den überirdifchen
Ivreifen fcljufen, von der Zeit, in welcher fie allen Reichthum, Glanz und Far-
benfchimmer, von dem was die Natur Schönes befitzt, auf ihre übernatürlichen
Schöpfungen mit vollen Händen ausftreuten. Wir find felbft ferne von der
Zeit, in welcher Maffijs mit der Vorliebe für Farbenglanz diefelbe Sorgfalt der
Ausführung verband, und das wirkliche Leben in feiner vollen Kraft, wenn
auch nicht ohne Härte wiedergab. Nun find wir zu einer Kunft gelangt, welche
jedes Verftändnifs für höhere Auffaffung von fich geworfen, und in der Wirk-
lichkeit das ftark Auffällige an die Stelle des innig Rührenden gefetzt hat,
welche das Alltägliche und Gewöhnliche für anziehender hält als das Schöne,
welche ftatt der in fich gekehrten Ruhe der alten Schule, ftatt der forgfältig
abgemeffenen Compofitionen der van Eycks und ftatt der kräftig zufammenge-
fafsten Gruppirung des Maffijs die ftark bewegte Zerfplitterung und das ver-
wirrte Gewühl erwählte.

Wir haben gefehen, wie bei dem letzten Vertreter der Schule die Malerei
der Auffaffung an Albernheit entfpricht, und wie die Kunft in den Werken
des jüngeren Pieter Brueghel mit dem Strom der Zeit abwärts treibt und bar-
barischer wird, als fie zweihundert Jahre früher gewefen.

Welche Bedeutung können nun diefe Werke für die Kunft haben und
wie kann man fie mit Maffijs’ Schule in Zufammenhang bringen? Dafs die
bürgerliche Schule des 16. Jahrhunderts direkt oder indirekt von Q. Maffijs
abftammt, haben wir zu zeigen gefucht: war für jenen die Ungefcheutheit, die
wenn auch noch fo häfsliche Menfchennatur ebenfo treu wieder zu geben,
als wäre fie claffifch fchön, Grundregel, fo ermuthigte die Hingebung, welche
er Perfonen und Scenen aus dem alltäglichen Leben widmete, feine Nachfolger,
dem Volksleben in feine verzweigteften Aeufserungen zu folgen; auch fuchten
fie fein Colorit zu behalten, obwohl fie dasfelbe durch ihre fcharfen Contrafte
und ihre glänzende Buntheit hart und grell, ftatt zart und hell werden liefsen.
Aus der Beobachtungsgabe aber, die fie mit dem grofsen Meifter gemein hatten,
ging die Neigung hervor, den Gebräuchen und Gebrechen ihrer Perfonen nach-
zugehen und daraus entftand der Hang zum Moralifiren und Satyrifiren;. damit
 
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