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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0112
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Rückblick.

85

aber entwickelte fich von felbft die Vorliebe für die Darftellung des Tadelns-
werthen, des Ungeheuerlichen, Teuflifchen und Spuckhaften.

Wenn wir uns aber fragen, ob diefe Richtung für die Gefchichte der
Kunft bedeutfam, — fo mufs in diefer Beziehung vor Allem betont werden,
dafs jeder Richtung, fei es nun dafs fie im Gebiete des Schönen und Voll-
kommenen fteige oder falle, in den Annalen der Kunft ein Platz eingeräumt
werden miifse, weil fie immer eine wenn auch mindere oder verkehrte Aeufserung des
Volksgeiftes' ift. Die Zeiten find vorbei, in denen man eine Schule oder einen
Theil derfelben in den Bann that, weil fie nicht nach Vorfchriften oder Prin-
zipien fchuf, die fpätere Zeiten zu Gefetzen und unumgänglichen Regeln machten.
Wir haben gelernt, zu unterfuchen, welche Bedeutung jede Kunftform haben
kann und mit der umfaffenderen Kenntnifs ift in uns auch ein umfaffenderes
Intereffe an den auseinanderzweigenden Richtungen wach geworden. Es foll
hier kein Vergleich gezogen werden zwifchen den Verdienften der Schule der
Realität und jener, welche die Schönheit zur Lofung nimmt; wir zeigten be-
reits, dafs beide Richtungen durch grofse Meifter vertreten werden. Schön und
wahr mtifsen, um das rechte Ziel zu erreichen, gleichbedeutend geworden fein,
und in jedem Kunftwerk ift ein Theil Schönheit und ein Theil Wahrheit. Der
Unterfchied ift nur, dafs in dem einen mehr Phantafie, in dem andern mehr
Wahrheit ift. Aber beide Grundrichtungen des vollkommenen Kunftfinnes
mtifsen, oder follen, oder können einander nicht ausfchliefsen. Wenn eine
Richtung das eine zu viel dem anderen opfert, wird fie einfeitig und sonach
verfehlt. In einer Schule, die Lebensfähigkeit genug befitzt, überwiegt die
eine Richtung die andere und dient durch das Sinken der Wagfchale nach der
einen der zwei Seiten dazu, das Gleichgewicht in der Gefammtheit herzuftellen.

Die Schule eines Bofch und ■ Brueghel artete in das Ungeheuerliche
aus; aber vergeffen wir nicht, dafs in ihr der Keim fortlebte, aus welchem die
Bauernmaler, die Maler des Converfationsftückes wie der komifchen Scenen er-
weich fen: die Teniers, die Rijckaert und Craesbeeck in den füdlichen, die
Brouwer, van Oftade, Steen, Hals in den nördlichen Niederlanden. Diefe alle
füllten in fpäteren Tagen die Weltanfchauung in der Form verändern, aber im
Wefen bewahren, und fo eine der eigenartigften und reichften Seiten unteres
Kunftlebens vertreten.

Während die Schule der Bauern- und Höllenmaler den Weg verfolgten,
den wir mit ihnen zurücklegten, ftanden fie in fchroffem Gegenfatz gegen die
Maffe ihrer Kunft- und Zeitgenoffen. Die Richtung diefer war nemlich eine
ganz andere, wenn auch nicht minder einfeitig und nicht weniger von der Art
eine Reaktion zu bedingen und herauszufordern. Es ift die Richtung der Idea-
bften, der auf Maffijs folgenden religiöfen Maler, welche nun Gegenftand unterer
Betrachtung fein foll.
 
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