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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0192
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IX. Peter Paul Rubens.

IÖ4

folgende Schreiben vollendet hatte, kam der von mir abgefandte Bote zurück
und brachte mir einen Brief von Euer Liebden, aus welchem ich mit Freude
erfehe, dafs Euer Liebden gerührt von meiner Vergebung nun beruhigt feiet.
Ich dachte nicht, dafs Ihr erwartet habet, ich würde dabei fo grofse Schwierig-
keit machen, wie ich auch nicht gethan habe. Wie könnte ich fo hart ge-
wefen fein, Euch in Eurer grofsen Bedrängnifs und Bangigkeit noch mehr zu
befchweren, während ich Euch doch gerne, wenn möglich mit meinem Blut
heraushelfen würde. Und wie follte überhaupt bei unterer früheren fo langen
Freundfchaft jetzt fo grofser Hafs entliehen, dafs ich nicht eine kleine Miffethat
gegen mich vergeben könnte, klein im Vergleich zu den mannigfachen
grofsen Miffethaten, um welche ich alle Tage Vergebung von meinem himm-
lifchen Vater erflehen mufs, und zwar mit der Bedingung: wie auch ich ver-
gebe jenen die mir Uebles thun. Sollten wir fein, wie der fchlechte Ver-
walter (im Evangelium), dem fo viele grofse Schulden von feinem Herrn nach-
gelaffen worden waren und der feinen Bruder eine kleine Summe bis auf den
letzten Pfennig zu bezahlen zwang. Euer Liebden feiet daher darüber be-
ruhigt, ob ich Euch gänzlich vergeben habe; gäbe Gott, dafs Eure Befreiung
damit zufammenhinge, wir würden bald wieder glücklich fein . . .

Sie endigt ihren langen Brief, der neben den milden und warmen
Troftfprüchen für ihren Mann auch nicht ohne manchen Ivlagefchrei ilt, womit
ihr eigener mühfam bezwungener Schmerz fleh unwillkürlich Luft macht, mit
folgenden Worten:

„Ich kann nun nicht weiter fchreiben, und bitte E. L. fo lehr, nicht
das Schlimmfte zu gewärtigen: das Schlimme kömmt zeitig genug von felbft,
und immer an den Tod zu denken und ihn zu fürchten ift härter als der Tod
felbft. Defshalb verbannt diefen Gedanken aus Eurem Herzen. Ich hoffe und
vertraue auf Gott, dafs er Euch gnädiger ltrafen und uns noch zufammen für
all diefen Kummer Freude verleihen wird, um was ich ihn aus dem Grunde
meines Herzens bitte. Und ich befehle Euch dem allmächtigen Herrn, dafs
er Euch tröffen und ftärken möge mit feinem heiligen Geift. Ich werde all mein
Beftes thun, den Herrn für Euch zu bitten; und das Gleiche thun auch untere
Kinderchen, die E. L. fehl' grüfsen laffen und fo lehr verlangen, Euch zu
fehen, wie — das weifs der Herr! — ich felbft. Gefchrieben den 1. April
Nachts zwifchen 12 und 1. — Und fchreibt doch nun nicht mehr „unwürdiger
Mann“; da diefs doch vergeben.

Euer Liebden getreue Gattin Maria Ruebbens.“

Ich bitte nicht um Entfchuldigung wegen der Einfchiebung diefer langen
Stücke aus einem häuslichen Briefe in die Gefchichte der Antwerpen’fehen
Malerfchule. Sie gehören mit Recht in diefelbe, denn fie laffen uns einen
tiefen Blick in Maria Pijpelinckx’ Charakter thun. Den Unterricht in Künften
und Wiffenfchaften hat Rubens bei Anderen empfangen, was aber Seelenadel
ift, lernte er von der Mutter; fie ftimmte fein jugendliches Herz höher und
empfänglich für das volle Verliehen und Empfinden des Seelenfchönen. Für
uns ift es eine erfreulich merkwürdige Thatfache, dafs der gröfste Künftler
die edelfte der Frauen zur Mutter hatte, und von diefer Thatfache wollten wir
die Beweife nicht zurückhalten.

Jan Rubens blieb eingekerkert bis zum Anfang des Jahres 1573, in
welcher Zeit ihm auf die wiederholten Bitten feiner edelmüthigen Gemahlin
die Gnade gewährt wurde, fich mit ihr in Siegen authalten zu dürfen. Dort
wohnten im Jahre 1577, dem Geburtsjahr unteres Malers, feine Eltern noch.
Wir wiffen mit Sicherheit, dafs den 26. April diefes Jahres Maria Pijpelinckx
in Siegen war, wir wiffen auch, dafs fie fich den 14. Juni dafelbft befand.
 
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