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Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Sitzung vom 30. Juni 1925

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antiken Kunst ist mannigfach. Rein äußer-
lich werden Tempel zu Kirchen, Statuen
und andere Bildwerke zu Heiligen umge-
wandelt (W. Amelung in R. M. 12, 1897,
71 ff.). Antike Typen werden zur Dar-
stellung jüdischer oder christlicher Vor-
stellungen (Pan und Teufel, Kriophoros
und guter Hirt) oder symbolisch (Or-
pheus-Christus) verwendet. Unverständlich
gewordene Bildwerke werden als Dar-
stellungen von biblischen oder christ-
lichen Geschichten umgedeutet (rheinische
Matronensteine -— drei Marien und andere).
Oder das Christentum übernimmt den Typus
oder das Bildwerk und erfindet zu seiner
Erklärung eine neue Sage. Ähnlich sind
Sagen aus Naturgebilden. Vgl. G. Kinkel,
Sagen aus Kunstwerken entstanden, in
»Mosaik zur Kunstgeschichte«. So werden
tributbringende Provinzen zu den Magiern
aus dem Morgenlande (L. v. Svbel in R.
M. 27, 1912, 311 ff.). Die kindernährende
Göttin im Vatikan (Amelung, Katalog
I Taf. 48) wird zur Päpstin Johanna (G.
Tomasetti in Bull. com. 35, 1907, 82 ff.).
Endlich fügt das Christentum Typus, Le-
gende und Roman zu einer Neuschöpfung
zusammen, wie in der Geschichte des hl.
Georg (J. Roosval, Nya St. Görans Studier
198), und die neuentstandenen Sagen werden
wieder bildlich dargestellt.
Der hl. Christophoros erscheint stets in
der Szene mit dem Christuskind auf der
Schulter. Da diese Geschichte sich nicht
aus altchristlichen Begriffen oder aus heid-
nischer Mythologie herleitet, so muß gefragt
werden, ob sie aus der antiken Kunst
stammen könne 1).
Das künstlerische Motiv des bärtigen
Mannes mit dem Kinde auf der Schulter
findet sich in der Antike in der Gruppe des
Herakles mit dem Erosknaben, die als Werk
des Lysippos dichterisch beschrieben wird
(Overbeck, S. Q. 1474), im Kunstgewerbe
auf einer Vase im Louvre (Abb. 1), einem
Spiegel in Athen (Abb. 2), einer Bronze-
statuette im Britischen Museum (Abb. 3

i) Der Name Christophoros als besondere Be-
zeichnung für Märtyrer bezieht sich auf Christus
als den Heiland; die Sage spricht immer nur von
dem Kinde, kann also nicht von dem Worte Christo-
phoros abgeleitet werden.

und 4) und auf Gemmen (Furtwängler,
Gemmen Taf. XXX 8 und XXVII 7 u.
8, L. A. Milani, 11. R. Museo archeologico
di Firenze Taf. CXXXV 8 u. 9, hier
Abb. 5 und 6, u. a.) erhalten ist und in-
haltlich und formal viele Verwandte in


Abb. 1. Von einer Ab. 2. Von einem
Vase im Louvre. Spiegel in Athen.
hellenistischer Dichtung und Kunst hat.
Die Möglichkeit liegt vor, daß eine späte
Nachbildung unverständlich wurde, daß
man den Knaben als Christus und seinen
Träger als Christophoros auffaßte und daß


Abb. 3. Bronzestatuette Abb. 4. Rückseite der
im Brit. Museum. Statuette Abb. 3.
so eine neue Sage entstand, die dann mit
der älteren Legende des Märtyrers Christo-
phoros verbunden wurde. Die künstlerische
Fassung der christlichen Sage führte end-
lich zu Typen, die den antiken Gruppen
des Herakles mit Eros wieder ähnlich sind
und von neuem zu dichterischer Erfindung
im deutschen Volksmärchen Anlaß gegeben
haben. — Der Vortrag erscheint in der Zeit-
 
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