Was aber bestimmt sie
denn? Nach Sempers Mei-
nung offenbar die ..Idee".
Da dieses Wort, mit dem
damals, unter dem Ein-
fluß der Hegeischen Philo-
sophie viel Mißbrauch ge-
trieben wurde, verschieden
verstanden werden kann,
müssen wir uns zunächst
klar machen, was Semper
darunter verstanden hat.
In einem Vortrag, den er
im Jahre 1853 in London
gehalten, nennt er als die
Faktoren, aus denen sich
der Stil entwickelt, fol-
gende vier:
Erstens ..die Anforde- B. Pankok in Stuttgart, Bilderrahme, geprelätes Leder, Lederpunzarbeit.
, Ausgeführt von Albert Feucht Nachf. Strenger & Narr in Stuttgart. D. Nr. 744.
rungen, die im Kunstwerk
selbst begründet sind und die auf gewissen Gesetzen der Natur und des
Bedürfnisses beruhen". In seinem ..Stil" erläutert er das näher mit den
Worten: ..die Grundformen oder Typen der Kunst sind erstens das Resultat
des materiellen Dienstes und Gebrauchs, der bezweckt wird, sei dieser nun
tatsächlich oder nur suggeriert und in höherer symbolischer Auffassung ge-
nommen." Er meint also unter ..Idee" in erster Linie das natürliche Be-
dürfnis, d. h. den Gebrauchszweck eines Gegenstandes, in zweiter Linie
die symbolische Bedeutung seiner Formen. ..Die Bestimmung eines jeden
technischen Produkts bleibt dem Wesen nach zu allen Zeiten dieselbe, insofern
sie sich auf das allgemeine Bedürfnis des Menschen begründet und auf überall
und zu allen Zeiten gültigen Naturgesetzen beruht, die ihren formellen Aus-
druck suchen." Dies ist also die eine Seite der Kunst, die sich überall und
zu allen Zeiten durchsetzen wird. Sie ist unabhängig von der Mode und dem
Material, sie hat einen universellen, allgemein menschlichen Charakter.
Semper stellt also tatsächlich nicht das Material, sondern die Idee, den
Gebrauchszweck in den Vordergrund. Er betont ausdrücklich, daß seine
Auffassung nichts gemein habe mit der ..grobmaterialistischen Auffassung des
Ursprungs der Kunstformen, wonach z. B. das Wesen der Baukunst nichts
sein soll als durchgebildete Konstruktion, gleichsam illustrierte und illuminierte
Statik und Mechanik, reine Stoffkundgebung". Vielmehr ist das Entscheidende
die Idee. Die ..Idee" eines Wasser-Gefäßes ist z. B. das Schöpfen und Gießen,
die ..Idee" eines Gebäudes das Darin wohnen oder Sichdarinversammeln. Dies
ist das Erste was vorhanden sein, dem Rechnung getragen werden muß.
Erst an zweiter Stelle nennt er das Material. ..Jedes technische Produkt
ist auch ein Resultat der Materie, d. h. des Stoffs, der bei der Produktion
benutzt wird, sowie der Werkzeuge und Prozeduren, die dabei in Anwendung
kommen." Und zwar ordnet sich das Material dem Zweck unter. Um be-
stimmte Zwecke zu erfüllen, sind bestimmte Stoffe besonders geeignet und
K. Lange,
Die Ent-
stehung
der deko-
rativen
Kunst-
formen.
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denn? Nach Sempers Mei-
nung offenbar die ..Idee".
Da dieses Wort, mit dem
damals, unter dem Ein-
fluß der Hegeischen Philo-
sophie viel Mißbrauch ge-
trieben wurde, verschieden
verstanden werden kann,
müssen wir uns zunächst
klar machen, was Semper
darunter verstanden hat.
In einem Vortrag, den er
im Jahre 1853 in London
gehalten, nennt er als die
Faktoren, aus denen sich
der Stil entwickelt, fol-
gende vier:
Erstens ..die Anforde- B. Pankok in Stuttgart, Bilderrahme, geprelätes Leder, Lederpunzarbeit.
, Ausgeführt von Albert Feucht Nachf. Strenger & Narr in Stuttgart. D. Nr. 744.
rungen, die im Kunstwerk
selbst begründet sind und die auf gewissen Gesetzen der Natur und des
Bedürfnisses beruhen". In seinem ..Stil" erläutert er das näher mit den
Worten: ..die Grundformen oder Typen der Kunst sind erstens das Resultat
des materiellen Dienstes und Gebrauchs, der bezweckt wird, sei dieser nun
tatsächlich oder nur suggeriert und in höherer symbolischer Auffassung ge-
nommen." Er meint also unter ..Idee" in erster Linie das natürliche Be-
dürfnis, d. h. den Gebrauchszweck eines Gegenstandes, in zweiter Linie
die symbolische Bedeutung seiner Formen. ..Die Bestimmung eines jeden
technischen Produkts bleibt dem Wesen nach zu allen Zeiten dieselbe, insofern
sie sich auf das allgemeine Bedürfnis des Menschen begründet und auf überall
und zu allen Zeiten gültigen Naturgesetzen beruht, die ihren formellen Aus-
druck suchen." Dies ist also die eine Seite der Kunst, die sich überall und
zu allen Zeiten durchsetzen wird. Sie ist unabhängig von der Mode und dem
Material, sie hat einen universellen, allgemein menschlichen Charakter.
Semper stellt also tatsächlich nicht das Material, sondern die Idee, den
Gebrauchszweck in den Vordergrund. Er betont ausdrücklich, daß seine
Auffassung nichts gemein habe mit der ..grobmaterialistischen Auffassung des
Ursprungs der Kunstformen, wonach z. B. das Wesen der Baukunst nichts
sein soll als durchgebildete Konstruktion, gleichsam illustrierte und illuminierte
Statik und Mechanik, reine Stoffkundgebung". Vielmehr ist das Entscheidende
die Idee. Die ..Idee" eines Wasser-Gefäßes ist z. B. das Schöpfen und Gießen,
die ..Idee" eines Gebäudes das Darin wohnen oder Sichdarinversammeln. Dies
ist das Erste was vorhanden sein, dem Rechnung getragen werden muß.
Erst an zweiter Stelle nennt er das Material. ..Jedes technische Produkt
ist auch ein Resultat der Materie, d. h. des Stoffs, der bei der Produktion
benutzt wird, sowie der Werkzeuge und Prozeduren, die dabei in Anwendung
kommen." Und zwar ordnet sich das Material dem Zweck unter. Um be-
stimmte Zwecke zu erfüllen, sind bestimmte Stoffe besonders geeignet und
K. Lange,
Die Ent-
stehung
der deko-
rativen
Kunst-
formen.
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