Giorgio Vasari
repräsentiert werden können: »vedesi lo spirito«! Vasari begreift das verosimile des
Farbigen nicht nur auf die äußerliche Ähnlichkeit zum Dargestellten hin, sondern
als umfassende Vergegenwärtigung innerer Lebendigkeit: Die Kinder in der Madon-
na del Cardellino20 z. B. seien »tanto ben coloriti [...], che piuttosto paiono di carne
viva che lavorati di colori e di disegno« (IV, S. 521), die Figuren der Heiligen Familie
Canigiani (Abb. 56) seien >mehr aus Fleisch, als aus Färbern modelliert (IV, S. 526),
und die Heiligen der Disputä21 erschienen »vivi di colori« (IV, S. 556). Im Parnaß
(Abb. 60) müsse man staunen, »come possa ingegno umano, con I' imperfezione di
semplici colori, riduri'e con 1' eccellenzia del disegno le cose di pittura a parere vive«
(IV, S. 554f.). Das Bildnis Papst'Julius ' IL empfindet Vasari als »tanto vivo e verace,
che faceva temere il ritratto a vederlo, come se proprio egli fosse il vivo« (IV, S. 558).
Die suggestiven Details im Bildnis Papst Leos X. mit den Kardinälen Giulio de'
Medici und Luigi de' Rossi2' seien »piü vivo [...] che la vivacitä« (IV, S. 552). Für
Vasari ist es gerade das verosimile des Kolorits, das die Malerei in den Rang einer
>zweiten Natur« erhebt. Erst durch die Farbe wird Raphaels Malerei vom mimeti-
schen Nachbild der Natur zum paradigmatischen Vorbild auf der Ebene der Kunst:
»Laonde la natura restö vinta da suoi colori« (IV, S. 12)!
Ein zweites Grundproblem für das verosimile der Farbgestaltung sieht Vasari in
der Darstellung von Licht und Dunkel und deren mannigfaltigen Erscheinungswei-
sen. Und es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, daß Vasari seine berühmte
exemplarische Aufzählung der universalen Darstellungsaufgaben der Malerei, in
der eine Reihe von Lichtphänomenen genannt werden - »...fuochi, arie torbide e
serene, nuvoli, [...] notte, lumi di luna, splendori di sole, ed infinite altre cose che
seco portano ognora i bisogni dell' arte della pittura« (IV, S. 576) -, in der Vita
Raphaels ausführt, denn Vasari betrachtet gerade Raphael hierin als »maestro degli
altri« (IV, S. 544). Insbesondere die Malerei in der Befreiung Petri ~l rühmt Vasari
in dieser Hinsicht als >göttlich< und findet kein Ende in der Beschreibung der
»diversi lumi della notte«, »i riflessi, e le fumositä del calor de' lumi«, »lo splendor
dell' Angelo, con lescure tenebre della notte si natural] e si vere, che non diresti mai
ch' ella fussi dipinta« (ebd.).
Für eine spezifischere thematische Betrachtung der Farbe geht Vasari von zwei
Ausgangspunkten aus, dem Symbolwert und dem Ausdruckswert der Farbe. Die
farbsymbolische Interpretation entwickelt Vasari am Beispiel der Gewandung der
2,1 Öl auf Holz, 107 \ 77,2 cm, Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 1447.
21 Fresko, Rom, Vatikan: Stanzet della Segnatura.
22 Öl auf Holz, 108 x 80,7 cm, London National Gallery, Inv.-Nr. 27.
23 Öl auf Holz, 155,2 x 118,9 cm, Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 40.
24 Fresko, Rom, Vatikan, Stänza di Eüodoro.
65
repräsentiert werden können: »vedesi lo spirito«! Vasari begreift das verosimile des
Farbigen nicht nur auf die äußerliche Ähnlichkeit zum Dargestellten hin, sondern
als umfassende Vergegenwärtigung innerer Lebendigkeit: Die Kinder in der Madon-
na del Cardellino20 z. B. seien »tanto ben coloriti [...], che piuttosto paiono di carne
viva che lavorati di colori e di disegno« (IV, S. 521), die Figuren der Heiligen Familie
Canigiani (Abb. 56) seien >mehr aus Fleisch, als aus Färbern modelliert (IV, S. 526),
und die Heiligen der Disputä21 erschienen »vivi di colori« (IV, S. 556). Im Parnaß
(Abb. 60) müsse man staunen, »come possa ingegno umano, con I' imperfezione di
semplici colori, riduri'e con 1' eccellenzia del disegno le cose di pittura a parere vive«
(IV, S. 554f.). Das Bildnis Papst'Julius ' IL empfindet Vasari als »tanto vivo e verace,
che faceva temere il ritratto a vederlo, come se proprio egli fosse il vivo« (IV, S. 558).
Die suggestiven Details im Bildnis Papst Leos X. mit den Kardinälen Giulio de'
Medici und Luigi de' Rossi2' seien »piü vivo [...] che la vivacitä« (IV, S. 552). Für
Vasari ist es gerade das verosimile des Kolorits, das die Malerei in den Rang einer
>zweiten Natur« erhebt. Erst durch die Farbe wird Raphaels Malerei vom mimeti-
schen Nachbild der Natur zum paradigmatischen Vorbild auf der Ebene der Kunst:
»Laonde la natura restö vinta da suoi colori« (IV, S. 12)!
Ein zweites Grundproblem für das verosimile der Farbgestaltung sieht Vasari in
der Darstellung von Licht und Dunkel und deren mannigfaltigen Erscheinungswei-
sen. Und es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, daß Vasari seine berühmte
exemplarische Aufzählung der universalen Darstellungsaufgaben der Malerei, in
der eine Reihe von Lichtphänomenen genannt werden - »...fuochi, arie torbide e
serene, nuvoli, [...] notte, lumi di luna, splendori di sole, ed infinite altre cose che
seco portano ognora i bisogni dell' arte della pittura« (IV, S. 576) -, in der Vita
Raphaels ausführt, denn Vasari betrachtet gerade Raphael hierin als »maestro degli
altri« (IV, S. 544). Insbesondere die Malerei in der Befreiung Petri ~l rühmt Vasari
in dieser Hinsicht als >göttlich< und findet kein Ende in der Beschreibung der
»diversi lumi della notte«, »i riflessi, e le fumositä del calor de' lumi«, »lo splendor
dell' Angelo, con lescure tenebre della notte si natural] e si vere, che non diresti mai
ch' ella fussi dipinta« (ebd.).
Für eine spezifischere thematische Betrachtung der Farbe geht Vasari von zwei
Ausgangspunkten aus, dem Symbolwert und dem Ausdruckswert der Farbe. Die
farbsymbolische Interpretation entwickelt Vasari am Beispiel der Gewandung der
2,1 Öl auf Holz, 107 \ 77,2 cm, Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 1447.
21 Fresko, Rom, Vatikan: Stanzet della Segnatura.
22 Öl auf Holz, 108 x 80,7 cm, London National Gallery, Inv.-Nr. 27.
23 Öl auf Holz, 155,2 x 118,9 cm, Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 40.
24 Fresko, Rom, Vatikan, Stänza di Eüodoro.
65