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Raphaels Werkgenese

Zweiklang aus blassem Gelb und Blau nach unten zu Petrus. Während im Entwurf
die Heiligen jeweils einer Seite paarweise zusammentreten, erscheinen sie durch
die farbige Disposition viel stärker auch über die Mitte hinweg aufeinander bezogen:
So bildet der weißgewandete Bernhard links ein anschauliches Äquivalent zum
dunkelbraun Gewandeten rechts57, und Petrus in Blau und Ocker wird zum bunt-
farbigen Gegenpart von Augustinus. Selbst farbige Nebenmotive, wie das dunkle
Braun am Heiligen rechts hat Raphael kunstvoll in das komplexe Beziehungsge-
flecht seiner Farbkomposition integriert, indem er dieses Braun z. 15. mit dem
benachbarten Anthrazitschwarz an Augustinus kompositorisch zusammenfaßt, es
zugleich aber auch - von ikonographischen Rücksichten gelöst - über den braun
gewandeten Unterarm von Maria in den Madonnenklang aufnimmt. Durch solche
visuellen Beziehungen führt Raphael den Betrachter immer wieder auf das Zen-
trum der Darstellung der im höchsten Hell-Dunkel-Kontrast aus Inkarnathelle und
Vorhangdunkel gesteigerten Maria-Kind-Konfiguration. Auf der Ebene dieser kom-
plexen anschaulichen Verknüpfungen hat Raphael einen Dialog seelischer Bezie-
hungen innerhalb dieser >Sacra Conversazione< für den Betrachter angelegt, in dem
jede Figur über ihr seelisches >Für-sich-Sein< hinaus eine potentielle Richtung auf
die anderen Figuren hin gewinnt. Potentiell deshalb, weil diese aus den farbigen
Zusammenhängen begründeten anschaulichen Beziehungen zwischen den Figu-
ren zumeist über das hinausgehen, was in den äußerlich-körperlichen Regungen
und Bewegungen ablesbar ist. Der virtuelle Dialog auf der Ebene der innerbildli-
chen Beziehungen der Farbe - Raphaels ßildmetaphorik aus Farbe und Licht - ist
an keiner Stelle vollständig durch das motivisch ablesbare äußere Handeln der
Figuren substituierbar, und gerade hierdurch gelingt Raphael die Suggestion, dem
Betrachter eine anschauliche Perspektive auf das Innere seiner Figuren zu öffnen.
Auf diesem Wege hat Raphael auch das zentrale Motiv des Baldachins bildmeta-
phorisch neu gedeutet: Wurde der Baldachin als symbolisches I Ioheitsmotiv58 in der
Quattrocentomalerei vielfach vor allem auf seine materiell-dingliche Kostbarkeit
hin ausgestaltet, wie dies z. B. im stofflich erlesenen, von Perlen gesäumten und von
Gold, Marmor und bauplastischem Ornament umgebenen Baldachin in Botticellis
Barnabasaltar59 zu sehen ist, wie es aber auch noch in der aufwendigen Thron- und
Baldachinarchitektur in Raphaels Pala Colonna (Abb. 46) nachwirkt, so interpre-

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Die ikonographische Identifizierung dieser Figur ist unsicher (Jakobus d.Ä.?) und wurde

obendrein von Raphael gegenüber dem Moclello neu bestimmt (ursprünglich Antonius
Abbas?). Vgl. J. A. Gere, N. Turner, Drawings by Raphael, 1984, S. 83.
Hierzu weiterführend G. Bandmann, Baldachin, Ciborium, in: Lexikon der christ-
lichen Ikonographie, 1990, Bd. 1, Sp. 25911.

Maria und Kind mit vier Engeln und sechs Heiligen, um 1487, Tempera auf Holz, 208
x 280 cm, Florenz, UHizien, Inv.-Nr. 8361.

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