Von der Zeichnung zur Farre
tiert Raphael den Baldachin nun losgelöst von solch äußerlicher Brillanz des Mate-
riellen prinzipiell in neuer Weise aus dem anschaulichen Helldunkelkontrast von
Vorhangdunkel und Inkarnathelle als ereignishaft durch die Kugel gelichteten Ort
der Epiphanie. Gerade diese thematische Neuprägung des Baldachinmotivs hat die
Zeitgenossen offenbar besonders fasziniert, wie in der unmittelbaren und ausge-
dehnten künstlerischen Rezeption dieses Motivs bei Fra Bartolommeo zu sehen
ist ('°. Demgegenüber bildet die halbrunde Nischenarchitektur im Hintergrund von
Raphaels Madonna del Baldacchino, so bedeutend und suggestiv sie auch istöl,
gattungsgeschichtlich gesehen in der >Sacra conversazione< keine prinzipielle Neue-
rung, wie der Vergleich mit den in dieser 1 linsicht bahnbrechenden Altarbildern der
- immerhin in Urbino befindlichen - Madonna mit Kind und Hciligenvon Piero
della Francesca'^oderder/to/ad/Sa« Giobbe von Giovanni Bellini, in der das Motiv
der architektonischen Nische ebenfalls schon mehr als zwei Jahrzehnte zuvor in
verwandter Form ausgebildet ist03, erhellt.
Es lohnt, genauer zu analysieren, wie Raphael diese neue thematische Deutung
des Baldachins aus den anschaulichen Zusammenhängen als narrative Struktur
seiner Darstellung entfaltet hat: An Stelle der verklärenden Durchlichtung im
oberen Bereich seines Modellos legte Raphael im Gemälde durch seine Farbigkeit
eine entschiedenere Polarität von Hell und Dunkel an, deren Eichtpol im Christus-
knaben, deren Dunkelpol im Inneren des Baldachins angesiedelt ist. In gleichem
Zuge veränderte er die in der Zeichnung fast unkörperlichen Lichtgestalten der
fliegenden Engel zu farbig lebhaft modellierten Figuren, in denen das Fliegen nicht
nur symbolisch angezeigt, sondern in den flatternden Gewändern, den akzentuier-
ten Helldunkelkontrasten, der partiell changierenden Farbigkeit und in dem insge-
samt skizzenhaften Ausführungsmodus zum malerischen Ereignis wird04. Beide
Engel sind farbkompositorisch auf die Figuren unten bezogen: Während im linken
Siehe hierzu die schon erwähnten Werke: Pakt del Gran Consiglio (Abb. 41), die Mysti-
sche I ermählung der III. Katharina im Louvre oder die Pala Pitti im Palazzo Pilli.
»Das Neue an Raffaels Konzeption bezüglich der Büdarchitektur ist die monumentale,
halbrunde Nische« meint J. Meyer zur Capellen, Rafläel in Florenz, 1996, S. 220.
Madonna mil Kind, sechs Heiligen, vier Engeln und dein SliJ'ler Federico da Monle-
feltro (IIolz,248x 170cm, Mailand, Pinacoteca Brera, Inv.-Nr. 510). Die wohl in den frühen
siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts entstandene Tafel befand sich wahrscheinlich
zunächst in der Kirche San Donato in Urbino, seit dem Tod Federicos 1482 dann in
dessen Mausoleum in San Bernardino in Urbino.
Holz (oben und unten beschnitten), 471 x 258 cm, Venedig, Galleria dell'Accademia,
Inv.-Nr. 38. Siehe zur Bildarchitektur dieser Tafel die eindringlichen Ausführungen von
E. Hubala, Giovanni Bellini, 1969, S. 6-12.
Vergleiche demgegenüber z. 15. die traditionell peruginesken Rörperformeln der Engel
in Raphaels Christus am Kreuz (Abb. 40).
162
tiert Raphael den Baldachin nun losgelöst von solch äußerlicher Brillanz des Mate-
riellen prinzipiell in neuer Weise aus dem anschaulichen Helldunkelkontrast von
Vorhangdunkel und Inkarnathelle als ereignishaft durch die Kugel gelichteten Ort
der Epiphanie. Gerade diese thematische Neuprägung des Baldachinmotivs hat die
Zeitgenossen offenbar besonders fasziniert, wie in der unmittelbaren und ausge-
dehnten künstlerischen Rezeption dieses Motivs bei Fra Bartolommeo zu sehen
ist ('°. Demgegenüber bildet die halbrunde Nischenarchitektur im Hintergrund von
Raphaels Madonna del Baldacchino, so bedeutend und suggestiv sie auch istöl,
gattungsgeschichtlich gesehen in der >Sacra conversazione< keine prinzipielle Neue-
rung, wie der Vergleich mit den in dieser 1 linsicht bahnbrechenden Altarbildern der
- immerhin in Urbino befindlichen - Madonna mit Kind und Hciligenvon Piero
della Francesca'^oderder/to/ad/Sa« Giobbe von Giovanni Bellini, in der das Motiv
der architektonischen Nische ebenfalls schon mehr als zwei Jahrzehnte zuvor in
verwandter Form ausgebildet ist03, erhellt.
Es lohnt, genauer zu analysieren, wie Raphael diese neue thematische Deutung
des Baldachins aus den anschaulichen Zusammenhängen als narrative Struktur
seiner Darstellung entfaltet hat: An Stelle der verklärenden Durchlichtung im
oberen Bereich seines Modellos legte Raphael im Gemälde durch seine Farbigkeit
eine entschiedenere Polarität von Hell und Dunkel an, deren Eichtpol im Christus-
knaben, deren Dunkelpol im Inneren des Baldachins angesiedelt ist. In gleichem
Zuge veränderte er die in der Zeichnung fast unkörperlichen Lichtgestalten der
fliegenden Engel zu farbig lebhaft modellierten Figuren, in denen das Fliegen nicht
nur symbolisch angezeigt, sondern in den flatternden Gewändern, den akzentuier-
ten Helldunkelkontrasten, der partiell changierenden Farbigkeit und in dem insge-
samt skizzenhaften Ausführungsmodus zum malerischen Ereignis wird04. Beide
Engel sind farbkompositorisch auf die Figuren unten bezogen: Während im linken
Siehe hierzu die schon erwähnten Werke: Pakt del Gran Consiglio (Abb. 41), die Mysti-
sche I ermählung der III. Katharina im Louvre oder die Pala Pitti im Palazzo Pilli.
»Das Neue an Raffaels Konzeption bezüglich der Büdarchitektur ist die monumentale,
halbrunde Nische« meint J. Meyer zur Capellen, Rafläel in Florenz, 1996, S. 220.
Madonna mil Kind, sechs Heiligen, vier Engeln und dein SliJ'ler Federico da Monle-
feltro (IIolz,248x 170cm, Mailand, Pinacoteca Brera, Inv.-Nr. 510). Die wohl in den frühen
siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts entstandene Tafel befand sich wahrscheinlich
zunächst in der Kirche San Donato in Urbino, seit dem Tod Federicos 1482 dann in
dessen Mausoleum in San Bernardino in Urbino.
Holz (oben und unten beschnitten), 471 x 258 cm, Venedig, Galleria dell'Accademia,
Inv.-Nr. 38. Siehe zur Bildarchitektur dieser Tafel die eindringlichen Ausführungen von
E. Hubala, Giovanni Bellini, 1969, S. 6-12.
Vergleiche demgegenüber z. 15. die traditionell peruginesken Rörperformeln der Engel
in Raphaels Christus am Kreuz (Abb. 40).
162