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Raphaels Werkgenese

der Farbklang von Petrus abgewandelt ist, erscheint in der changierenden Farbkon-
stellation des rechten nur wenig modifiziert der Farbakkord von Maria. Aus der
Verschränkung dieser farbigen Beziehungen und der damit anschaulichen thema-
tischen Zuordnungen entsteht Raphaels bildmetaphorischer Diskurs: Indem er den
rechten Engel, der den Baldachin ereignishaft öffnet, farbig auf den das Christus-
kind rahmenden Marienklang bezieht und gleichzeitig die Inkarnathelle des Kindes
über den erscheinungsbaft gedeuteten Kontrast mit dem Dunkel im Inneren des
Baldachins in Verbindung bringt, hat er das zentrale Handlungsmotiv seiner Dar-
stellung, das Öffnen des Baldachins, thematisch als unmittelbar auf die Madonna
und das Kind bezogene Ambivalenz des Verhüllens und Entbergens des Göttlichen
vertieft: Das Thema der Epiphanie wird in solch anschaulich sich aus dem Medium
der Farbe und des Helldunkels erneuernder Vergänglichkeit jeweils neu für den
Betrachter zum anschaulichen Ereignis. Es ist wichtig für das Verständnis des
grundlegenden Wandels in der visuellen Kultur, der in dieser bildlichen Umprägung
des Baldachinmotivs gegenüber spätquattrocentesken Darstellungen bei Botticelli
oder Perugino1'3, aber auch noch in Raphaels eigenem CEuvre, in der Pakt Colonna
(Abb. 46), faßbar wird, daß sich diese neue narrative Deutung des Baldachins als
Erscheinungsort des Göttlichen in der Madonna del Baldacchino nicht auf der
Ebene des symbolischen Inventars, sondern aus der metaphorischen Deutung der
visuellen Mittel seiner Malerei verwirklicht.

Am Beispiel der Werkgenese der Madonna del Baldacchino wird deutlich, daß
die Farbe in Raphaels Werkprozeß weit mehr ist als die letzte kostbare Haut eines
an sich schon vorher vollständigen Werks, mehr als nur äußeres Dekorum einer
schon als Helldunkel-Zeichnung abgeschlossenen Komposition. Vielmehr reicht sie
ins Zentrum von Raphaels thematischer inventio, die sich erst im Bereich der
farbigen Ausführung vollständig bestimmt.

65 Siehe hierzu Botticellis schon erwähnten Barnabasaltar oder Peruginos Madonna und
Kind mit vier Heiligen von 1493, Holz 186 x 172 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum,
Inv.-Nr. 615.

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