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Ansatzpunkte

men der Madonnendarstellung angeknüpft, deren theologische Gehalte er freilich
im Rahmen einer veränderten visuellen Kultur mit neuen anschaulichen Mitteln
vergegenwärtigt und gedeutet hat.

Angesichts der großen Zahl an Madonnenbildern in Raphaels vorrömischem
Werk ist es überraschend, daß Raphael - im Unterschied etwa zu Perugino - jede
seiner Darstellungen auch thematisch auf jeweils individuelle Weise gedeutet hat.
Es fällt dabei auf, daß sich Raphael hierfür nur auf sehr wenige und obendrein in
ihrem Sinn nicht sehr spezifische Bildsymbole der Passionsprophetie - Buch, Stieg-
litz, Kreuzesstab, Schriftbanderole - bezogen hat, und daß er beginnend mit seinem
Wechsel nach Florenz nicht selten ganz auf symbolisches Inventar verzichtete, wie
z. 15. in der Madonna del Granduca (Abb. 17) oder in der Madonna Tempi
(Abi). 21). Die thematische Analyse der einzelnen Bilder wird darüber hinaus erwei-
sen, wie sehr Raphael auch diese wenigen, von ihm verwendeten Symbole von
Anfang an durch die Einbindung in spezifische narrative Zusammenhänge meta-
phorisch verwandelt hat. In Raphaels Darstellungen des Göttlichen gewinnen im
Laufe seiner vorrömischen Jahre vor allem vier Bereiche seiner Färb- und Bildme-
taphorik zunehmend an Bedeutung, von denen drei - im Sinne Hans Blumenbergs8
- als >absolute Metaphern< charakterisiert werden können: Erstens die Inkarnatfar-
bigkeitais Bild der Inkarnation, zweitens die Himmelsfarbe als Metapher der Region
des Metaphysischen, drittens das Licht als Metapher des Transzendenten und
viertens die farbmetaphorische Deutung der Farbfigur Mariens, mit der Raphael
auf neue Weise experimentiert. Hinzu kommt außerdem Raphaels Naturmetapho-
rik in den Bildgründen: Im Kontext seiner anschaulichen Bildmetaphorik aktuali-
siert Raphael die komplexen Bedeutungsmöglichkeiten der mittelalterlichen Pflan-
zensymbolik1', indem er diese in neuer Weise in die poetologische Struktur seiner
anschaulichen Bildzusammenhänge integriert. Besonders wichtig für die narrative
Durchdringung des Andachtsbildes ist für Raphael die verstärkte Verzeitlichung der
Darstellung, die von der Bewegungssuggestion der Figuren, wie der Dynamik des
im Bild dargestellten Lichtes getragen ist. Alle Bereiche seiner Färb- und Bildmeta-
phorik hat Raphael mit neuen farbgestalterischen Möglichkeiten ausgearbeitet,
und insbesondere im Bereich der Karnationskoloristik erschließt Raphael koloritge-
schichtlich bedeutende Errungenschaften10.

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9

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H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, 1960, S. 9, passim.
Hierzu allgemein L. Behling, Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei, 1967.
Der schwierige Bereich einer Koloritgeschichte der [nkarnatfarbigkeil wurde bisher vor
allem mit Blick auf die venezianische Malerei (M. Grunewald, Die Entwicklung des
Karnationskolorits in der venezianischen Malerei, 1912) und in der flämischen Malerei
des 17. Jahrhunderts, insbesondere bei Rubens, betrachtet (L. Dittmann, Farbgestal-

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