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Sposalizio

fortsetzt l24. Stärker als Perugino hat Raphael den Zweiklang ans Karminrot und
Blau an Maria und Ockergelb und Grünblau an Joseph jeweils farbgestalteriseh
individualisiert, so daß beide farbig unmittelbar aus der Fülle der umgebenden
Farben der übrigen Figuren als Protagonisten herausgehoben sind, wohingegen bei
Perugino die Farben von Maria und Joseph in den Umstehenden wiederkehren. Nur
in dem nachdenklich blickenden Brautwerber hinter Joseph hat Raphael ein dem
Karminrot an Maria unmittelbar verwandtes Rot gestaltet, das den Blick weiter von
Maria zur Seite von Joseph hin führt und dessen blühenden Stab akzentuiert.
Zugleich sind an dieser Stelle ersteAnsätze spürbar, die Farbkomposition auch nach
farbsystematischen Kriterien zu strukturieren, indem Raphael Joseph und den
rotgewandeten Freier hinter ihm in einer primärtriadischen Farbkonstellation
zusammenfaßt. Aber dieser Aspekt ist erst in der komplexen Koloristik der Grabtra-
gung vollständig entwickelt12'. Die ausgeschiedenen Brautwerber im Hintergrund
sind demgegenüber- ausdruckshaft sprechend - in gedämpften Farben gekleidet,
Schwarz, Violettgrau, Braun, Auberginefarben. Nur der junge Freier im Vorder-
grund, der zornig seinen Stab über dem Knie zerbricht, vereinigt auf sich ein
- farbmetaphorisch dem Zorn zugeordnetes121' - Ziegelrot, hinzukommen dunkles
Moosgrün und Ockergelb in den Schuhen. Er bildet am rechten Rand eine Schlußfi-
gur, die zugleich farbkompositorisch versöhnlich unterschwellig auf den Akkord in
den Frauen auf der linken Seite bezogen ist. Gegenüber der in den Figuren im
Vordergrund auf diese Weise auskomponierten narrativen Sukzession, die die Sym-
metrien der Gesamtkomposition kunstvoll durchdringt und verlebendigt, hat Ra-
phael die Figurengruppen des Hintergrunds vergleichsweise streng nach den Prin-
zipien der Tonwiederholung und dervariierten Symmetrie beidseits der Mittelachse
des Bildes einander gegenübergestellt.

Es ist überraschend, daß es Raphael im Sposalizio gelingt, die Fülle an Farbnu-
ancen und Valeurs nicht als spaltklanglich additive koloristische varietä erscheinen
zu lassen, sondern zu einer komplex narrativ strukturierten schmelzklanglichen
unione del colorüo zusammenzufassen. In derPala Ansidei (Abb. 46) hat Raphael
dieses Ideal des Schmelzklangs mit einer gegenüber dem Sposalizio reduzierten
Zahl an Farben noch konsequenter realisiert.

Betrachtet man in Raphaels vorrömischen Altarbildern die zunehmende Ten-
denz, die farbsymmetrischen Ordnungen mit Hilfe einer sukzessive strukturierten
Farbkomposition narrativ zu durchdringen und auf den potentiell verzeitlichten

124 Dies beobachtete zutreffend auch V. Zubow, Zur Komposition von Raffaels Sposalizio,
1953, S. 151.

125 Siehe hierzu Kap. VIII, S. 46511'.

120 Gauricus, De sculptura, 1969, 161.

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