Raphael als >poeta mutoi.o«
sondern [...] [die ganze historia] ist mit so schöner Anordnung [componimento] und
Ebenmäßigkeit [ordine e misura] zusammengestellt«, daß diese in allen Punkten
sinnvoll sei". In der Erfindung solcher Zusammenstellungen (»invenzioni dei com-
ponimenti«) sei Raphael unübertroffen, wodurch seine Historien - im Gegensatz
zur »confusione« bei anderen Malern - thematisch angemessen seien (»accomoda-
to ed aperto valente«)'2. Drittens hebt Vasari in diesem Zusammenhang hervor, daß
Raphael die historia als übergreifende Ganzheit gestaltet, etwa wenn er mit Blick
auf das Fresko der Messe von Bolsena schreibt, »che la storia mostra intera«, oder
angesichts der Schule von Athen vom »componimento di tutta la storia« spricht ".
Schließlich merkt Vasari viertens an, daß Raphael stets »die Begebenheiten treu
darzustellen [suchte], wie sie geschrieben sind«".
Auf diesem letzten Punkt insistiert auch Lodovico Dolce, der Raphael mit Blick
auf dessen Darstellung der Hochzeit von Alexander und Roxane '3 ausdrücklich
als »poeta mutolo«, als >stummen Dichten rühmt, der die Erfindungen seiner
Historien aus sich selbst schöpfe (»...s' e imaginato di suo, come poeta mutolo«"'),
nicht ohne umgehend hinzuzufügen, daß ihm die Erfindung dieser Szene schon bei
dem Dichter Lukian begegnet sei17. Ohnehin sei es eine »oft wiederkehrende
Thatsache, dass sich die Maler ihre Erfindungen bei Poeten, und diese dafür die
ihrigen bei Malern holen.«18 Letztlich ginge die invenlio der historia in der Kunst
aber aus der Phantasie des Malers hervor1", und Raphaels Erfindungsreichtum sei
11 Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, 1983, Bd. Ill/I, S. 196; vgl. Ders., Vite
1981, Bd. IV, S. 332: »E oltra le minuzie delle considerazioni, ehe son pure assai, vi e il
componimento di tutta la storia, che certo e spartito tanto con ordine e misura, che egli
noströ veramente un si fatto saggio di se...«.
12 Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, 1983, Bd. [11/ 1, S. 209; Ders., Vite 1981,
Bd. IV, S. 343.
13 Vasari, Vite 1981, Bd. IV, S. 343, 332.
14 Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, 1983, Bd. 111/1, S. 209, vgl. Ders., Vite,
1981, Bd. IV, S. 344: »figurare le storie come esse sono scritte«.
'S Dolce beschreibt Raphaels zeichnerischen Entwurf zu dem erst später von Sodoma
ausgeführten Fresko im Schlafzimmer von Agostino Chigi in der Villa Farnesina (Rötel
und Weißhöhung über Metallgriffelvorzeichnung, 228 x 316 mm, Wien Albertina, Inv.-
Nr. 17634; E. Knab, E. Mitsch, R. Ouerhuber, Raphael. Die Zeichnungen, 1983,
Kat.-Nr. 540, vgl. S. 610).
18 L. Dolce, Dialogo della pittura, i960, S. 192.
17 Ebd., S. 192.
18 L. Dolce, Dialog über Malerei, 1970, S. 79; vgl. Ders., Dialogo della pillura, 1960,
S. 192: »i pittori cavino spesso le loro invenzioni dai poeli, et i poeli dai pittori«.
I!) L. Dolce, Dialogo della pittura, 1960, S. 170: »...le Fantasie che genera nella sua mente
la istoria«.
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sondern [...] [die ganze historia] ist mit so schöner Anordnung [componimento] und
Ebenmäßigkeit [ordine e misura] zusammengestellt«, daß diese in allen Punkten
sinnvoll sei". In der Erfindung solcher Zusammenstellungen (»invenzioni dei com-
ponimenti«) sei Raphael unübertroffen, wodurch seine Historien - im Gegensatz
zur »confusione« bei anderen Malern - thematisch angemessen seien (»accomoda-
to ed aperto valente«)'2. Drittens hebt Vasari in diesem Zusammenhang hervor, daß
Raphael die historia als übergreifende Ganzheit gestaltet, etwa wenn er mit Blick
auf das Fresko der Messe von Bolsena schreibt, »che la storia mostra intera«, oder
angesichts der Schule von Athen vom »componimento di tutta la storia« spricht ".
Schließlich merkt Vasari viertens an, daß Raphael stets »die Begebenheiten treu
darzustellen [suchte], wie sie geschrieben sind«".
Auf diesem letzten Punkt insistiert auch Lodovico Dolce, der Raphael mit Blick
auf dessen Darstellung der Hochzeit von Alexander und Roxane '3 ausdrücklich
als »poeta mutolo«, als >stummen Dichten rühmt, der die Erfindungen seiner
Historien aus sich selbst schöpfe (»...s' e imaginato di suo, come poeta mutolo«"'),
nicht ohne umgehend hinzuzufügen, daß ihm die Erfindung dieser Szene schon bei
dem Dichter Lukian begegnet sei17. Ohnehin sei es eine »oft wiederkehrende
Thatsache, dass sich die Maler ihre Erfindungen bei Poeten, und diese dafür die
ihrigen bei Malern holen.«18 Letztlich ginge die invenlio der historia in der Kunst
aber aus der Phantasie des Malers hervor1", und Raphaels Erfindungsreichtum sei
11 Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, 1983, Bd. Ill/I, S. 196; vgl. Ders., Vite
1981, Bd. IV, S. 332: »E oltra le minuzie delle considerazioni, ehe son pure assai, vi e il
componimento di tutta la storia, che certo e spartito tanto con ordine e misura, che egli
noströ veramente un si fatto saggio di se...«.
12 Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, 1983, Bd. [11/ 1, S. 209; Ders., Vite 1981,
Bd. IV, S. 343.
13 Vasari, Vite 1981, Bd. IV, S. 343, 332.
14 Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, 1983, Bd. 111/1, S. 209, vgl. Ders., Vite,
1981, Bd. IV, S. 344: »figurare le storie come esse sono scritte«.
'S Dolce beschreibt Raphaels zeichnerischen Entwurf zu dem erst später von Sodoma
ausgeführten Fresko im Schlafzimmer von Agostino Chigi in der Villa Farnesina (Rötel
und Weißhöhung über Metallgriffelvorzeichnung, 228 x 316 mm, Wien Albertina, Inv.-
Nr. 17634; E. Knab, E. Mitsch, R. Ouerhuber, Raphael. Die Zeichnungen, 1983,
Kat.-Nr. 540, vgl. S. 610).
18 L. Dolce, Dialogo della pittura, i960, S. 192.
17 Ebd., S. 192.
18 L. Dolce, Dialog über Malerei, 1970, S. 79; vgl. Ders., Dialogo della pillura, 1960,
S. 192: »i pittori cavino spesso le loro invenzioni dai poeli, et i poeli dai pittori«.
I!) L. Dolce, Dialogo della pittura, 1960, S. 170: »...le Fantasie che genera nella sua mente
la istoria«.
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