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Raphael als >foeta mutolo<

Ordnung des Farbigen208. Raphael nnlzl auch hier die Polarität des Unfarbigen und
BuntfarbigeQ und die ausgezeichnete Einheit des universalfarhigen Kanons, um
seine Bilderzählung als einen komplexen bildübergreifenden narrativen Prozeß von
der neutralfarbig dominierten Farbkonfiguration der Mariengruppe, über die vital
kontrastierende Buntfarbigkeit in >Grifonetto<, den ausdruckshaft verengten
Zweiklang in Magdalena zur paradigmatisch repräsentierten Buntfarbigkeit um das
Haupt von Christus zu entfalten. 1 [inzukommt die neue farbgestalterische Synthese
von Farbe und Licht, der Verzicht auf die nahsichtige und partikulare Suggestion
von Stofflichkeit. In kaum mehr als einem Jahrzehnt, das Peruginos Beweinung für
5. Chiara (Abb. 58) von Raphaels Grabtragung trennt, ist das Problem der
Farbkomposition von der Ebene der additiven Verbindung farbiger Einzelfiguren
auf die Ebene der Farbkonfiguration und der Farbkomposition des Bildganzen
übergegangen. In dieser Gegenüberstellung steht ein koloritgeschichtlicher Epo-
chenwechsel vor Augen21"'.

Raphael hat in diesem Werk eine Vollkommenheit angestrebt, die keine Unbe-
stimmtheit kennt. Das ist schon an der ambitionierten zeichnerischen Werkgenese
ablesbar, in der Raphael einzelne Figuren erstmalig bis auf das Skelett studiert
hat2I". Und das setzt sich fort über die komplexe Komposition der narrativen
Zusammenhänge bis in die malerische Ausführung, die durch eine alle übrigen
Werke von Raphael übertreBendeformatbezogene Ausführungsdichte gekennzeich-
net ist. Bis ins Detail der kristallinen Tränen von Magdalena sind die Inkarnate der
Figuren ausmodelliert , erscheinen die Faltengrate und Stoffverwerfungen der
Gewänder plastisch ausgearbeitet2'2. Kein anderes Werk von Raphael zeigt darüber

208
209

Siehe hierzu ausführlich Kap. VI, S. 345ff.

M. B. Hall übersieht die bedeutenden innovativen Elemente in der Koloristik von
Raphaels Grabtragung, wenn sie diese - nur mit Blick auf die sich entsprechenden
Rottöne - als »re-evocation of isochromatism« in die Tradition der quattrocentesken
Farbtonwiederholungen einordnet (Color and meaning, 1992, S. 90).
Siehe die Studie zur ohnmächtigen Maria, E. Knab, E. Mitsch, K. Oberhuber, Ra-
phael. Die Zeichnungen, 1983, Nr. 204.

Man vergleiche z. B. den Körper des segnenden Christus in Brescia, der in der Modellie-
rung weniger plastisch detailliert ist, obwohl Raphael gerade hier mit einer gattungsbe-
dingt nahsichtigen Betrachtung rechnen mußte. Die Einschätzung von 0. Fischel
(Raphael, 1962, S. 47), daß die Inkarnate »übermodelliert wie bei den manieristischen
Gefolgsleuten des Massys in Antwerpen« seien, ist freilich überzogen.
Die ausgeprägte Körpermodellierung hat K. Oberhuber (Raf'iäello, 1982, S. 44) auf
Impulse von Michelangelos Tondo Doni zurückgeführt: »anche la superficie piltorica
rinette il risalto tnarmoreo de! dipinto michelangiolesco.« Über diesen partiellen Aspekt
hinaus kann allerdings von keinem weiteren Zusammenhang im Farbigen gesprochen
werden.

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