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Edouard Manet
Strich der Lippen. Licht und Farbe schweben im Gleichgewicht,
mit sicherer, aber behutsamer Hand sind die Akzente gesetzt. In
dem gelben Schal kommt kein Rosa vor, das Armband ist gelber
als alles andere, und das Gelb des Pantoffels wirkt durch seine
himmelblaue Borte nur als Gelb.
So viel reine, wunderbar edle Farbe bei derart strahlendem
Licht kannte man in keiner Malerei. Dies war ein Programm
und ein Problem zugleich, und die unbegreifliche Kühnheit des
Griffes konnte auch verwöhnte, nicht nur stumpfe Augen ver-
letzen. Paris schrie auf über dieses Bild, es erregte einen un-
geheuren Kunstskandal, man warf dem Künstler unsittliche Ge-
danken vor. Manet, ein feiner, und, bei aller künstlerischen
Schamlosigkeit, sehr vornehmer Mensch, litt entsetzlich unter der
Wut und flüchtete schließlich nach Spanien.
Spanien war ihm lange Zeit in der Kunst platonisches Ideal ge-
wesen, er sehnte sich dorthin, zu Velasquez und Goya, und wenn er
auch Murillos Madonnen nicht gut leiden konnte, die Straßenjungen
Murillos gefielen ihm nicht weniger als Velasquez Bettler, wegen des
„esprit de la nie“. Aber nun passiert das sehr Merkwürdige, daß
nach der Rückkehr aus Madrid, wo er übrigens nur 14 Tage gewesen
war und wo er sich, mit Öl und Zwiebelküche, persönlich ziemlich
unglücklich gefühlt hatte, das Spanische aus seiner Kunst so gut
wie ganz verschwindet. Als er es in Wirklichkeit gesehen hatte, ge-
fiel es ihm nicht mehr ganz so gut, es beflügelte seine Phantasie nicht
mehr so feurig, er dachte künftig an diese Liebe seiner Liebe dank-
bar, aber ohne Rausch.
Aber dennoch ist für die Gestaltung seiner Kunst dieses Spanische
wichtiger als sein kunsthistorisch viel genauer belegbares Verhältnis
zu den Italienern, die er sehr geliebt hat. In den Museen, nicht nur
im Louvre, sondern auch in Holland, Deutschland und Italien stu-
dierte und kopierte er nicht nur Tizian und andere Venezianer, son-
dern vornehmlich auch italienische Primitive, Filippino Lippi und
Ghirlandajo. Ein Gesicht hell in hell zu modellieren und auf hellen
Grund zu setzen, dies reizte ihn und dies hatte er im kunsthistorischen
Malunterricht bei Couture nie gesehen. Aber so bedeutungsvoll dies
auch sein mochte, wichtiger ward doch das Spanische. Weil es nicht
aus dem Museum, kaum von Bildern überhaupt stammte, sondern
aus der lebendigen Sehnsucht seines eigenen Wesens, das diese eine
Seite seiner Rasse zu steigern verlangte. Der Anblick jener Truppe
von spanischen Tänzern, die im Jahre 1860 ein Gastspiel in Paris
Edouard Manet
Strich der Lippen. Licht und Farbe schweben im Gleichgewicht,
mit sicherer, aber behutsamer Hand sind die Akzente gesetzt. In
dem gelben Schal kommt kein Rosa vor, das Armband ist gelber
als alles andere, und das Gelb des Pantoffels wirkt durch seine
himmelblaue Borte nur als Gelb.
So viel reine, wunderbar edle Farbe bei derart strahlendem
Licht kannte man in keiner Malerei. Dies war ein Programm
und ein Problem zugleich, und die unbegreifliche Kühnheit des
Griffes konnte auch verwöhnte, nicht nur stumpfe Augen ver-
letzen. Paris schrie auf über dieses Bild, es erregte einen un-
geheuren Kunstskandal, man warf dem Künstler unsittliche Ge-
danken vor. Manet, ein feiner, und, bei aller künstlerischen
Schamlosigkeit, sehr vornehmer Mensch, litt entsetzlich unter der
Wut und flüchtete schließlich nach Spanien.
Spanien war ihm lange Zeit in der Kunst platonisches Ideal ge-
wesen, er sehnte sich dorthin, zu Velasquez und Goya, und wenn er
auch Murillos Madonnen nicht gut leiden konnte, die Straßenjungen
Murillos gefielen ihm nicht weniger als Velasquez Bettler, wegen des
„esprit de la nie“. Aber nun passiert das sehr Merkwürdige, daß
nach der Rückkehr aus Madrid, wo er übrigens nur 14 Tage gewesen
war und wo er sich, mit Öl und Zwiebelküche, persönlich ziemlich
unglücklich gefühlt hatte, das Spanische aus seiner Kunst so gut
wie ganz verschwindet. Als er es in Wirklichkeit gesehen hatte, ge-
fiel es ihm nicht mehr ganz so gut, es beflügelte seine Phantasie nicht
mehr so feurig, er dachte künftig an diese Liebe seiner Liebe dank-
bar, aber ohne Rausch.
Aber dennoch ist für die Gestaltung seiner Kunst dieses Spanische
wichtiger als sein kunsthistorisch viel genauer belegbares Verhältnis
zu den Italienern, die er sehr geliebt hat. In den Museen, nicht nur
im Louvre, sondern auch in Holland, Deutschland und Italien stu-
dierte und kopierte er nicht nur Tizian und andere Venezianer, son-
dern vornehmlich auch italienische Primitive, Filippino Lippi und
Ghirlandajo. Ein Gesicht hell in hell zu modellieren und auf hellen
Grund zu setzen, dies reizte ihn und dies hatte er im kunsthistorischen
Malunterricht bei Couture nie gesehen. Aber so bedeutungsvoll dies
auch sein mochte, wichtiger ward doch das Spanische. Weil es nicht
aus dem Museum, kaum von Bildern überhaupt stammte, sondern
aus der lebendigen Sehnsucht seines eigenen Wesens, das diese eine
Seite seiner Rasse zu steigern verlangte. Der Anblick jener Truppe
von spanischen Tänzern, die im Jahre 1860 ein Gastspiel in Paris