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Die neue Monumentalität

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Salons von 1861, „Frieden“ und „Krieg“, konnte er wie ein Schüler
Chasseriaus wirken. Das Hellenische, das er so leidenschaftlich suchte,
lebt auf völlig naive Weise in diesen Bildern, ganz unhistorisch, ganz
unreflektiert, aus Sehnsucht und Schwärmerei. Große Form, ge-
sehen in schöner Atmosphäre und einheitlichem Ton, stark klingen-
der Rhythmus der Flächen bei reicher Belebung der Einzelgestalt,
eine an Poussin gemahnende Klarheit des Aufbaus und eine an
Corot gemahnende Fülle des silbergoldenen Tones, machen diese
Allegorien in Amiens, besonders die des „Friedens“ und die der
„Ruhe“, zu sehr großen Leistungen, und, trotz des innigen Zusam-
menhanges mit der Tradition, zu Schöpfungen von durchaus eigenem
Blut. Es ist viel Natur, viel Empfindung in diesen Fresken, auch
sehr reiche Erfindung, in der manchmal überraschenden Zusammen-
fügung der Gruppen sowohl wie in Haltung und Beseelung der ein-
zelnen Figur. Eine holde Unbefangenheit und, bei aller Ruhe der
Gebärden und aller Feierlichkeit des Baus, eine schöne, sinnliche
Heiterkeit. Man konnte glauben, der große Monumentalmaler sei
Frankreich geboren, und als er im Jahre 1869 die Fresken für Mar-
seille malte, „Marseille, eine griechische Kolonie“ und „Marseille,
das Einfallstor des Orients“, trat dieses neue Hellenentum auch
heimatlich in die engste Beziehung zu den unterirdischen Kunst-
quellen seiner Rasse. Was Ingres in seinem nicht vollendeten „Gol-
denen Zeitalter“ geträumt hatte, schien Wirklichkeit werden zu
wollen. Aber Puvis war nicht stark genug für die ganz große Lei-
stung. Schöneres, Blutvolleres als diese Frühwerke hat er dann nicht
wieder gemacht. Bleibt er auch in seinen späteren Werken immer ein
Künstler von höchster Reinheit der Empfindung und stärkster Leiden-
schaft des Willens, so opfert er im Laufe der Zeit doch immer mehr,
nicht nur von seinen malerischen Elementen, sondern auch von der
Ausdruckskraft seiner Linie, von der Beseelung der Form. Dem großen
Stil zuliebe glaubte er diese Opfer bringen zu müssen. Die Dekoration
wird mächtiger und strenger, aber zugleich wird das Rhythmische
schwächer. Wenn die Hintereinanderschichtung der Bildebenen im
Sinne des alten Freskostils untadelhaft ist, wenn jede Gruppe, jede
Figur, jede Haltung und jede Wendung genau da steht, wo sie muß
nach dem ornamentalen Gesetz, wenn die auf lichtes Grau mit lichtem
Blau an den Anfangs- und an den Endpunkten gestellte Harmonie dem
Ton der Architekturen immer genauer sich einfügt— in diesem Spiel
von Gewichten und Gegengewichten, von Symmetrien und Paralle-
lismen, von Winkeln und Kurven fühlt man System und Rezept und
 
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