Cezanne
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kein Künstler ist dem geheimnisvollen Bau der Natur so nahege-
kommen wie Cezanne. Seine Landschaften sind verewigte Dauer-
zustände der sichtbaren Welt, von höherer Wahrheit und erregenderer
Schönheit als alle jemals gemalte Landschaft. Seine Stilleben, so
richtig im Einzelton und so über alle Begriffe prunkvoll als Gesamt-
farbe, enthüllen eine Monumentalität des Aufbaus, die sich mit jeder
Wandmalerei messen kann; und seine Menschen, seine Bildnisse
erschüttern durch die Gewalt ihres Ausdrucks. Aber der Ausdruck
ist nicht gesucht, er ist gefunden, als das letzte Ergebnis einer
stummen, während der hartnäckigsten Anschauungsarbeit vor sich
gegangenen Seelenzwiesprache.
In Cezannes Kunst sagte die französische Kunst des ganzen 19. Jahr-
hunderts ihr letztes, vielleicht ihr größtes Wort. Klassizismus
und Romantik ist in ihr enthalten, ebenso wie Realismus und Im-
pressionismus, jedes aber als unlösbarer Teil des Ganzen. Was die
Nachfolger aus dieser Ganzheit herausnahmen, sind vielleicht An-
fänge neuer Dinge, Henri Rousseaus bewußte Kindlichkeit,
Picassos bewußte Lehre vom Kubus, Matisses Doktrin vom reinen
Aufbau (von Cezannes Kompositionen der Badenden abgeleitet)
und von der reinen Farbe als bewußte Reaktion — alles dies Neue
hängt, sei es als Weiterbildung, sei es als lehrbares Element, sei es
als Ausweg, mit Cezanne zusammen. Er lag dem 20. Jahrhundert
im Wege wie ein erratischer Block, und die neue europäische Jugend
fand, als erst einmal die Zeit der Nachahmung vorüber war, ihren
Ausweg im Anschluß an die so vollkommen anders geartete Kunst
des Holländers Van Gogh und des Skandinaviers Edvard Munch.
Ihr Instinkt wird sie richtig geführt haben. Das Vorbildliche an
Cezanne ist nicht, was man an seinen Bildern lernen kann. Höch-
stens sind es seine Natur und seine Persönlichkeit. Dieser erratische
Block war in sich zu rund, als daß man auf seinen offenen Stellen und
Schnittflächen hätte weiterbauen können. Jene französische Künstler-
jugend, die, wie etwa der aus Impressionistenblut stammende
Maurice Utrillo (der Sohn der von Renoir und Degas künstlerisch
beeinflußten Malerin Suzanne Valadon), ganz schlicht vor der Natur
dort wieder anfing, wo etwa Sisley aufgehört hatte, sicherte sich
dadurch größere Möglichkeiten für eine gesunde Zukunft.
7*
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kein Künstler ist dem geheimnisvollen Bau der Natur so nahege-
kommen wie Cezanne. Seine Landschaften sind verewigte Dauer-
zustände der sichtbaren Welt, von höherer Wahrheit und erregenderer
Schönheit als alle jemals gemalte Landschaft. Seine Stilleben, so
richtig im Einzelton und so über alle Begriffe prunkvoll als Gesamt-
farbe, enthüllen eine Monumentalität des Aufbaus, die sich mit jeder
Wandmalerei messen kann; und seine Menschen, seine Bildnisse
erschüttern durch die Gewalt ihres Ausdrucks. Aber der Ausdruck
ist nicht gesucht, er ist gefunden, als das letzte Ergebnis einer
stummen, während der hartnäckigsten Anschauungsarbeit vor sich
gegangenen Seelenzwiesprache.
In Cezannes Kunst sagte die französische Kunst des ganzen 19. Jahr-
hunderts ihr letztes, vielleicht ihr größtes Wort. Klassizismus
und Romantik ist in ihr enthalten, ebenso wie Realismus und Im-
pressionismus, jedes aber als unlösbarer Teil des Ganzen. Was die
Nachfolger aus dieser Ganzheit herausnahmen, sind vielleicht An-
fänge neuer Dinge, Henri Rousseaus bewußte Kindlichkeit,
Picassos bewußte Lehre vom Kubus, Matisses Doktrin vom reinen
Aufbau (von Cezannes Kompositionen der Badenden abgeleitet)
und von der reinen Farbe als bewußte Reaktion — alles dies Neue
hängt, sei es als Weiterbildung, sei es als lehrbares Element, sei es
als Ausweg, mit Cezanne zusammen. Er lag dem 20. Jahrhundert
im Wege wie ein erratischer Block, und die neue europäische Jugend
fand, als erst einmal die Zeit der Nachahmung vorüber war, ihren
Ausweg im Anschluß an die so vollkommen anders geartete Kunst
des Holländers Van Gogh und des Skandinaviers Edvard Munch.
Ihr Instinkt wird sie richtig geführt haben. Das Vorbildliche an
Cezanne ist nicht, was man an seinen Bildern lernen kann. Höch-
stens sind es seine Natur und seine Persönlichkeit. Dieser erratische
Block war in sich zu rund, als daß man auf seinen offenen Stellen und
Schnittflächen hätte weiterbauen können. Jene französische Künstler-
jugend, die, wie etwa der aus Impressionistenblut stammende
Maurice Utrillo (der Sohn der von Renoir und Degas künstlerisch
beeinflußten Malerin Suzanne Valadon), ganz schlicht vor der Natur
dort wieder anfing, wo etwa Sisley aufgehört hatte, sicherte sich
dadurch größere Möglichkeiten für eine gesunde Zukunft.
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