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Institut für Österreichische Kunstforschung [Mitarb.]
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte — 7.1930

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Gy.-Wilde, Julie: Giotto - Studien
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I. Die Stellung der „Himmelfahrt Mariä“ und der „Stigmatisation des Hl. Franziskus“ in Giottos Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.56539#0051
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JULIE GY.-WILDE / GIOTTO-STUDIEN

I. DIE STELLUNG DER „HIMMELFAHRT MARIÄ“ UND DER „STIGMATISATION
DES HL. FRANZISKUS“ IN GIOTTOS WERK
Die in der Literatur wohlbekannte, doch hier zum erstenmal abgebildete Assunta
Giottos über der Bogenöffnung der ersten Kapelle links neben dem Chor von S. Croce ist
das Gegenstück der Stigmatisation des hl. Franziskus über dem Eingang der Bardikapelle
auf der anderen Seite des Kirchenchors. Diese gegenseitige Beziehung kann nur die Wieder-
gabe beider Fresken mit dem ganzen Rahmenwerk aufzeigen, nur eine Betrachtung dieses
vollständigen Ganzen die Größe der künstlerischen Tat in ihrem vollen Werte ermessen
(Abb. 4 und 5)1).
Die beiden Kapellen liegen noch innerhalb der Breite des Hauptschiffes (Abb. 3), so
daß sie beim Betreten der Kirche mit dem Chor und der Ostwand zugleich erblickt werden.
Sie sind auch architektonisch von den übrigen Kapellen der Ostseite durch den kapitäl-
geschmückten Pilaster, der den hohen Schildbogen der Vierung trägt, getrennt (Abb. 6).
Giuseppe Richa spricht von Chorschranken „collocato all’uso antico nella nave di mezzo,
cioe fra i quattro pilastri piü vicini all’altar grande“2). Sie wurden 1566, zur Zeit der großen
Restaurierung des Baues, die Vasari auf Geheiß Cosimos I. ausführte, abgetragen. Als sie
noch standen, war der einheitliche Eindruck wohl noch stärker.
Wie in der Arenakapelle, so ist auch hier die Dekoration der Chorwand als kompo-
sitionelle Einheit gedacht. Daß das nicht unmittelbar erkannt wird, liegt daran, daß die
Chorkapelle doppelt so hoch ist wie die flankierenden Kapellen und darum die Wand von
den Fenstern aufwärts in diese Dekoration nicht einbezogen wurde. Die achsiale Sym-
metrie der Bogenöffnungen und der Fenster überbrückt die Trennung durch die stark
betonte Mitte. — Dank der niedrigen Choröffnung der Arenakapelle kann dort noch von
einer Triumphalwand im alten Sinne gesprochen werden (Abb. 2). Der Tribunenbogen mit
seinen Dekorationsstreifen wirkt verbindend, nicht trennend. Giotto hat auch zum Schmuck
dieser Stelle zwei inhaltlich zusammenhängende Szenen gewählt und die Architekturen,
welche die Figuren umschließen, so gestellt, daß ihre verkürzten Linien gegen den Beschauer
im Schiff konvergieren3). Die Triumphalwand von der Kapitälzone aufwärts ist malerisch
im Sinne der in altchristlicher Zeit u. a. häufigen Triumphalwandkomposition gestaltet; an
Stelle von Bethlehem und Jerusalem stehen auch hier Architekturen, darüber verbindend
q Vgl. Friedrich Rintelen: Giotto und die Giotto-Apokryphen. Zweite verbesserte Auflage. Basel 1923, S. 147: Anhang.
Hier gibt Rintelen eine vortreffliche, das Wesentliche kurz andeutende Analyse der Komposition des Assuntabildes.
Er hält es für ein Werk des „reifsten Stils“ von Giotto, was bei seiner Anschauung von Giottos Entwicklung ganz folge-
richtig ist. In Anm. 148 stellt er die von der Assunta handelnden Stellen der älteren Giottoliteratur zusammen. — Eine
unseres Erachtens richtige Wertung von Rintelens Werk, getragen von tief eindringendem Verständnis für seine methodo-
logische Leistung, enthält die Besprechung von H. Kauffmann in der „Deutschen Literaturzeitung“ 1925, Heft 51,
Sp. 2489 ff. Auch ich bin mir dessen vollkommen bewußt, daß eine Arbeit, wie die vorliegende, erst nach Rintelens
Sichtung von Giottos Werk und seiner klärenden Darlegung von Giottos historischer Bedeutung einsetzen konnte.
2) Notizie istoriche delle chiese fiorentine. Firenze 1754, T. I, p. 61.
3) Vgl. auch Rintelen a. a. O. S. 30. Beide Architekturen stellen dasselbe Haus dar, jenes, zu welchem sich der Hoch-
zeitszug Mariä am letzten Bild der obersten Freskenreihe links neben der Ostwand bewegt.
 
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