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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Kühn, Lenore: Das Problem der ästhetischen Autonomie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0034
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LENORE KÜHN.

beweisbar ist, d. h. daß wir als Denkende seine Gültigkeit beständig
voraussetzen, ist gleichsam nur eine sekundäre Eigenschaft; sofern er
logischer Wert ist, ist er beweisbar; sofern er Wert überhaupt ist, ist
er ebensowenig beweisbar, d. h. ableitbar wie jeder andere Wert.
Die Autonomie als Selbstkonstituierung eines Wertes wird also zu
einer Autonomie des Gebiets, d. h. der Wert begründet ein Gebiet,
eine Sphäre, in der er als Selbstzweck gilt, und in der sich demgemäß
die Elemente teleologisch anordnen. Doch ist damit noch nicht das
eigentliche Wesen des Gebiets gegeben; es muß noch der Begriff der
Autonomie als Selbstgesetzgebung hinzutreten.
Kant definiert als Gebiet im Gegensatz zu Boden die Sphäre, wo
Gesetze des das Gebiet Beherrschenden gelten 1). Um das Recht eines
Gebietes zu begründen, muß daher gezeigt werden, daß der Wert,
auf den es sich gründet, eine Gesetzmäßigkeit in sich enthält, durch
welche das aus dem Chaos des Wertlosen gewonnene Gebiet in
sich selbst aus einem Chaos zu einem Kosmos wird. Die Möglich-
keit, eine bestimmende Gesetzmäßigkeit, formende Prinzipien aus sich
zu entfalten, ist somit das Kennzeichen des kritisch absoluten, völlig
autonomen Wertes. Damit scheidet z. B. das Angenehme, das keine
Gesetzmäßigkeit aus sich entfalten kann, aus dem Gebiet des Schönen
aus, dessen Gesetzmäßigkeit, dessen überindividuelle Prinzipien und
somit überindividuelle Gültigkeit in jedem ästhetischen Urteil voraus-
gesetzt und anerkannt werden2), wenn sie auch nicht aufzeigbar er-
scheinen. Der Wert muß also konstitutiv für sein Gebiet sein, das
heißt, er muß begründende gesetzmäßige Formen, überindividuelle
konstitutive Prinzipien entfalten können. Konstitutive Prinzipien nennen
wir z. B. im theoretischen Gebiete Prinzipien, die eine theoretische
Wirklichkeit und somit eine theoretische Erfahrung konstituieren, d. h.
ein allgemeingültiges sinnvolles und gegliedertes Ganzes. So ist der
Begriff der Kausalität ein konstitutives Prinzip der theoretischen Wirk-
lichkeit. Ebenso ist der Begriff der Freiheit absolut konstitutiv für
das Gebiet der Ethik, da ohne ihn der Begriff der Pflicht, das Sollen
als Wert des Gebietes der Ethik undenkbar und widersinnig ist und
mit dem theoretisch kausalen Müssen zusammenfällt.
Aus diesem Begriff der Autonomie als Selbstgesetzgebung folgt
ferner: der Wert und die Prinzipien, die den Wert ausdrücken, sind

3) Kr. d. U. S. 11. »Der Teil des Bodens, worauf diese (sc. Begriffe) gesetz-
gebend sind, ist das Gebiet (ditio) dieser Begriffe und der ihnen zustehen-
den Erkenntnisvermögen.« An anderer Stelle (Kr. d. U. S. 1) nennt Kant
dieses zuständige Vermögen, den Verstand, konstitutiv für das Gebiet des Theo-
retischen.
2) Kr. d. U. S. 151, 152.
 
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