Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

DOI Artikel:
Groos, Karl: Das ästhetische Miterleben und die Empfindungen aus des Körperinneren
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0176
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
172

KARL GROOS.

stürzen in diesen Abgrund« u. s. w., sagt Robert Vischer. »Keine
Gestalt«, schreibt Lotze, der diese Zustände mit besonderer Feinheit
geschildert hat, »ist so spröde, in welche hinein sich unsere Phantasie
nicht mitlebend zu versetzen wüßte.« »Imiter en soi,« lehrt der
französische Philosoph Jouffroy, »Vetat exterieurement manifeste de la
nature vivante, c'est ressentir V eff et esthetique fondamental.«
Nehmen wir nun an, daß unsere Gefühlstheorie auch nur innerhalb
gewisser Einschränkungen richtig sei, so gewinnen solche Schilde-
rungen sofort eine sehr konkrete Bedeutung. Wir werden dann im
Anschluß an das früher Gesagte zunächst folgendes Ergebnis erhalten.
Wir lassen theoretisch die Möglichkeit offen, daß die Gemütsbewegungen
des Miterlebens zum Teil auf Gehirnerregungen beruhen, die un-
mittelbar durch die äußere Wahrnehmung oder durch hinzutretende
reproduktive Faktoren (und Urteile) veranlaßt werden. Dagegen gilt
es uns als zugestandene Voraussetzung, daß die gefühlsbetonten inneren
Organempfindungen »wesentliche Bestandteile« auch dieser Emotionen
bilden müssen, und zwar die einzigen sicher nachweisbaren emotio-
nalen Bestandteile. Daher ist für uns die miterlebende Einfühlung in
den ästhetischen Gegenstand als wirkliche, nicht bloß vorgestellte Ge-
mütsbewegung ohne körperliches Ergriffenwerden überhaupt
nicht vorhanden (»der ganze Leibmensch wird ergriffen«, sagt
Robert Vischer). Wenn es z. B. der Dichter nicht versteht, durch den
Klang und Sinn der Worte bestimmte physiologische Prozesse im
Organismus des Hörers hervorzurufen, die als Körpergefühle ins Be-
wußtsein dringen, oder wenn der Hörer selbst in dieser Hinsicht ver-
sagt (wie das z. B. infolge von Abstumpfung oder Ermüdung auch
beim ästhetisch Veranlagten eintreten kann), so mag das Gedicht ver-
standen und beurteilt werden, aber die Emotion bleibt aus.
Die innere Nachahmung. — Die charakteristischen Gefühls-
zustände, die uns speziell im »inneren Miterleben« erfüllen, müssen aber
von besonderen Entstehungsbedingungen abhängen. Das unverkenn-
bare »Mit« oder »Nach« des Erlebens bedarf einer Erklärung. Wie
kommt es zu stände? Wir werden mit dieser Frage auf den Nach-
ahmungstrieb verwiesen, d. h. auf die Fähigkeit und den Drang, die
sichtbaren und hörbaren Formen, die wir wahrnehmen, mit unserem
eigenen Körper nachzuerzeugen. Von welch unermeßlicher Bedeutung
dieser »Trieb« für die Entwickelung des Einzelnen und für die Erhal-
tung der Kultur ist, kann hier nicht ausgeführt werden. Dagegen ist
es für unsere Zwecke nötig, darauf hinzu weisen, daß es neben der
äußerlichen Nachahmungsbewegung auch ein motorisches Nacherzeugen
der Form gibt, das sich mehr im Innern des Organismus abspielt.
Wir können ein Gedicht auch »innerlich« nachsprechen, ein Lied »inner-
 
Annotationen