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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Prinzhorn, Hans: Gottfried Sempers ästhetische Grundanschauungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0223
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GOTTFRIED SEMPERS ÄSTHETISCHE GRUNDANSCHAUUNGEN. 219

talischen Völker. Aber selbst für diese, häufig stark willkürlich ent-
standenen Stile geht diese schroffe Aufstellung eines Prinzips doch
zu weit. Und andere Äußerungen Sempers mildern diesen Ausspruch
ganz bedeutend.
Von solchen Sonderlichkeiten abgesehen, finden sich gerade in
Bezug auf Entwickelung von Kunstformen und ästhetischen Werten
zahllose feine Gedanken, von denen hier nur ein ganz allgemeiner
und tiefer genannt sei: »Rein ästhetische, d. h. auf einem geahnten
Gesetz höherer Morphologie fußende Beweggründe führten schon in
den ersten Anfängen der Kunst zu der Erfindung derjenigen Typen,
die in den Künsten unabänderlich feststehen und erst später in dem
bezeichneten Sinne ausgelegt wurden« (Stil II, 229).
Wir kehren zu den Grundformen, den Typen zurück, die also für
Semper überall dieselben und älter als alle Gesellschaftsorganismen
sind. Unsere obige Definition gibt weiter die Herkunft dieser Typen
an: sie sind »den verschiedensten technischen Künsten entlehnt, wie
sie in primitivster Handhabung oder selbst in vorgerückter Entwicke-
lung als die ursprünglichsten Beschützerinnen der heiligen Herd-
flamme gedacht wurden«. Damit stoßen wir auf Sempers Vorstel-
lungen von dem Ursprung der Künste, die sich in seinen Schriften
von Anfang an ziemlich gleichlautend formuliert finden. Auch hier
fußt er nicht streng auf dem gegebenen Tatsachenmaterial, sondern
verwebt dieses sogleich mit mythischen Ideen, die freilich überaus
anschaulich und überzeugend vorgetragen werden. In den »Vier
Elementen der Baukunst« läßt er die Einzelkünste am primitiven
Hausbau sich zuerst betätigen und verteilt sie auf dessen »Elemente«
(S. 55/56):
»Das erste Zeichen menschlicher Niederlassung und Ruhe nach
Jagd, Tanz und Wanderung in der Wüste ist heute wie damals, als
für die ersten Menschen das Paradies verloren ging, die Einrichtung
der Feuerstätte und die Erweckung der belebenden und erwärmenden
speisebereitenden Flamme. Um den Herd versammelten sich die ersten
Gruppen, an ihm knüpften sich die ersten Bündnisse, an ihm wurden
die ersten rohen Religionsbegriffe zu Kulturgebräuchen formuliert.
Durch alle Entwickelungsphasen der Gesellschaft bildet er den heiligen
Brennpunkt, um den sich das Ganze ordnet und gestaltet. Er ist das
erste und wichtigste, das moralische Element der Baukunst. Um ihn
gruppieren sich drei andere Elemente, gleichsam die schützenden
Negationen, die Abwehrer der dem Feuer des Herdes feindlichen drei
Naturelemente; nämlich das Dach, die Umfriedigung und der Erd-
aufwurf (auch Substruktion, Terrasse). Zugleich ordneten sich die
verschiedenen technischen Geschicklichkeiten der Menschen nach ihnen:
 
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