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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0291
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BESPRECHUNGEN.

287

Tatsachenwissenschaft — daß psychologische Einsichten den Ausgangspunkt ästheti-
scher Forschung bedingen, der wird naturgemäß in jedem Werke, das die Psycho-
logie wesentlich fördert, mittelbar auch eine Bereicherung erblicken, die der Ästhetik
zu statten kommt, namentlich da, wo es sich — wie im vorliegenden Falle — um
eine Arbeit handelt, welche die Sprache, das Darstellungsmittel der Dichtkunst, ein-
gehend erörtert und den Gesetzen des Vorstellungs- und Gefühlslebens eifrigst
nachforscht. Unsere Besprechung soll nach einer kurzen Inhaltskizze, welche dem
Ästhetiker einen ungefähren Einblick in den von Marty behandelten Problemenkreis
verschaffen soll, andeutungsweise an der Hand von Beispielen zu zeigen versuchen,
wie weit dieses Werk in ästhetisches Gebiet hineindringt und auf welche wichtigen
Fragen hierdurch das klärende Licht der Erkenntnis fällt.
Die Einleitung des Buches wird gebildet durch Erörterungen über den Begriff
der Sprachphilosophie und ihr Verhältnis zur Psychologie, sowie über die Gliederung
der sprachphilosophischen Untersuchungen und über die Möglichkeit und die Auf-
gaben einer allgemeinen deskriptiven Semasiologie. Dabei bietet sich dem Ver-
fasser Gelegenheit, eingehend zu der Frage Stellung zu nehmen, was berechtigter
und was falscher »Psychologismus« ist. Hierauf werden die mannigfachen Bedeu-
tungen der Begriffe Form und Stoff, insbesondere soweit die Interessen der Sprach-
philosophie mitspielen, kritisch gesichtet (äußere und innere Sprachform, Form und
Stoff auf dem Gebiete der Bedeutung u. s. w.). Daran knüpft das Grundproblem
einer allgemeinen, beschreibenden Semasiologie an, nämlich dasjenige von Form
und Stoff auf dem Bedeutungsgebiete. Dessen zentrale Stellung bringt es mit sich,
daß seine Lösung Gelegenheit gibt zur Behandlung fast aller anderen, wichtigeren
Fragen dieses Gebietes. Ich erwähne nur den tiefgreifenden Unterschied, der zwi-
schen autosemantischen (selbstbedeutenden) und synsemantischen (mitbedeutenden)
Sprachmitteln besteht, und bei letzteren den zwischen logisch begründeten und
logisch nicht begründeten. Der vorliegende erste Band enthält nun die diesbezüg-
lichen allgemeinen Untersuchungen. Den größten Raum nimmt aber die Frage ein
nach den Grundklassen autosemantischer Sprachmittel und ihrer Bedeutung. Sie
fußt auf der von Franz Brentano gegebenen Einteilung psychischer Phänomene in
Vorstellen, Urteilen und Interesse, welche gegen neuere Änderungsversuche (z. B.
Verschmelzung von Urteil und Interesse; Aufstellung einer besonderen Klasse von
»Annahmen«) scharfsinnig verteidigt wird. Dieser Dreiteilung gemäß werden als
Grundklassen selbstbedeutender Sprachmittel: Vorstellungssuggestive, Aussagen und
Emotive unterschieden, wobei sich die Frage nach der Bedeutung jeder dieser drei
Klassen aufdrängt. Die Untersuchung über die Bedeutung der Aussagen führt zu
einer gehaltvollen Erörterung des Begriffes der Urteilsinhalte, wobei sich klar zeigt,
wie weit unser Autor von dem ihm fälschlich angedichteten »Psychologismus« —
wenn man darunter Psychologie am Unrechten Orte versteht — entfernt ist. Die
Frage nach der Bedeutung der Emotive leitet zu dem wichtigen Problem, ob bei
den Phänomenen des Interesses in analogem Sinne ein Inhalt gegeben sei, wie es
das Sein und Nichtsein (beziehungsweise Notwendig- und Unmöglichsein) bei den
Urteilen ist. Dieses Analogon wird gefunden im Wert und Unwert. Indem endlich
die Bedeutung der Vorstellungssuggestive, insbesondere der Namen, besprochen
wird und das Verhältnis des durch sie Bedeuteten und Gemeinten, wird das letztere
dem Vorstellungsgegenstand, das erstere dem Vorstellungsinhalt gleichgesetzt, wobei
der verschiedene mögliche und der hier zutreffende Sinn dieser Termini zur Klärung
gelangt. Da bietet sich auch Gelegenheit zu einer kritischen Durchsicht der Lehre
vom immanenten Inhalt oder Gegenstand (sowohl beim Vorstellen als beim Urteilen
und Interesse), die seit Jahrhunderten die Forscher beschäftigt hat und gerade in
 
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