BESPRECHUNGEN.
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nerisch gestaltende und die erkennende, die künstlerische und die philosophische, sich
gegenseitig ausschließen, beziehungsweise begleiten und bedingen? In erster Linie
hat also der Bearbeiter der Künstlerästhetik zu fragen: wie denkt der Künstler?
Erst auf Grund der Beantwortung dieser Frage wird es dann möglich sein, zu unter-
suchen, was er denkt.
Der Charakter des künstlerischen Denkens, seine Weite wie seine Begrenztheit,
ist aufzufassen als eine philosophische Grundstellung des Menschen zur Welt, eine
typische Form des Denkens, die über die geschichtlichen Gegensätzlichkeiten des
Denkenden hinaus sich bewährt. Dafür, daß wirklich im Gegensatz der Philosophen-
und der Künstlerästhetik die Differenz zweier intellektueller Urerlebnisse des Menschen
zu Tage tritt, spricht auch der Versuch eines modernen theoretisierenden Künstlers,
zwischen »produktiver« und »rezeptiver« Auffassung im Menschen einen prinzipiellen
Unterschied zu machen. Dem Künstler wird die produktive Begabung zugesprochen.
Das Problem seines ästhetischen Denkens liegt nun darin, wie weit er in der Re-
flexion über sein Produzieren und das der anderen zur rezeptiven Auffassung durch-
dringt; die wissenschaftliche Frage ist also, ob sich beide Begabungsweisen in einer
Individualität vereinigt aufzeigen lassen.
Die Eigenart des ästhetischen Denkens bei bildenden Künstlern zu begreifen,
heißt, das Verhältnis von Theorie und Praxis im Künstler verstehen. In
erster Linie wird man also versuchen, den Beziehungen zwischen diesen beiden
großen Potenzen, zwischen »Kraft« und »Erkenntnis«, wie Hebbel sich ausdrückt,
nachzugehen. Die bisherigen Darstellungsversuche der Künstlerästhetik beschränken
sich auf eine einseitige Würdigung der theoretischen Aussagen und ignorieren völlig
die Kunstwerke, d. h. sie kümmern sich nicht um die Möglichkeiten eines gegen-
seitigen Sichbedingens von Denken und Schaffen. Aber gerade erst aus solchen
Wechselwirkungen heraus werden die individuellen Kunstprinzipien überhaupt ver-
ständlich. Einerseits aus seiner künstlerischen Praxis das Wesen und Werden der
Theorie eines bildenden Künstlers abzuleiten, andererseits die Einwirkung seines
ästhetischen Denkens auf sein praktisches Gestalten nachzuweisen, darin besteht die
eigentliche literarische Aufgabe, die freilich dadurch besonders erschwert wird, daß
die Philosophie des Schaffens bisher viel weniger gründlich erforscht ist als die des
Genießenden. Die künstlerische Natur ist eine durchaus aktive. Der Künstler als
solcher ist ein Handelnder und nicht ein Betrachtender. Gerade die Fähigkeit, vom
anschaulichen Erlebnis sofort zu dessen Gestaltung überzugehen, den Weg vom
Auge zur Hand zu finden, kennzeichnet seinen Charakter. Daher pflegen sich auch
die Probleme, die ihn als Künstler im engsten Sinne angehen, aus den Beziehungen
zwischen Material, Arbeitsweise und Werkzeug zu ergeben, wie solche sich im
Einzelfall gestalten.
Von seinem jeweiligen Arbeitsmaterial empfängt der Künstler mannigfache
Reize. Einmal läßt sich von einer gewissen Verliebtheit des Künstlers in sein Material
reden — handele es sich um Stein, Farben oder sonst ein Gestaltungsmittel. Von
der Sinnlichkeit des Stoffes kann eine Aufregung ausgehen, die sich der ganzen künst-
lerischen Psyche bemächtigt. So lockt bestimmte Künstlernaturen nur das Schwere,
Widerstand leistende, einen Kampf verheißende Material. Zweitens: es ist der An-
regungskraft des Materials Rechnung zu tragen. Die zufällige Form eines Blockes
kann die Idee einer Statue wachrufen, eine Art Voraussicht des fertigen Werkes,
die die Arbeit selbst führt und begleitet. Der eigentliche künstlerische Konflikt er-
hebt sich aber erst da, wo das Material mit seinen natürlichen Gesetzen dem künst-
lerischen Schöpfungsdrange Schranken setzt, die Produktion in ganz bestimmte Bahnen
lenkt. So kann es zu einem Kampfe kommen zwischen dem seelischen Rhythmus
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nerisch gestaltende und die erkennende, die künstlerische und die philosophische, sich
gegenseitig ausschließen, beziehungsweise begleiten und bedingen? In erster Linie
hat also der Bearbeiter der Künstlerästhetik zu fragen: wie denkt der Künstler?
Erst auf Grund der Beantwortung dieser Frage wird es dann möglich sein, zu unter-
suchen, was er denkt.
Der Charakter des künstlerischen Denkens, seine Weite wie seine Begrenztheit,
ist aufzufassen als eine philosophische Grundstellung des Menschen zur Welt, eine
typische Form des Denkens, die über die geschichtlichen Gegensätzlichkeiten des
Denkenden hinaus sich bewährt. Dafür, daß wirklich im Gegensatz der Philosophen-
und der Künstlerästhetik die Differenz zweier intellektueller Urerlebnisse des Menschen
zu Tage tritt, spricht auch der Versuch eines modernen theoretisierenden Künstlers,
zwischen »produktiver« und »rezeptiver« Auffassung im Menschen einen prinzipiellen
Unterschied zu machen. Dem Künstler wird die produktive Begabung zugesprochen.
Das Problem seines ästhetischen Denkens liegt nun darin, wie weit er in der Re-
flexion über sein Produzieren und das der anderen zur rezeptiven Auffassung durch-
dringt; die wissenschaftliche Frage ist also, ob sich beide Begabungsweisen in einer
Individualität vereinigt aufzeigen lassen.
Die Eigenart des ästhetischen Denkens bei bildenden Künstlern zu begreifen,
heißt, das Verhältnis von Theorie und Praxis im Künstler verstehen. In
erster Linie wird man also versuchen, den Beziehungen zwischen diesen beiden
großen Potenzen, zwischen »Kraft« und »Erkenntnis«, wie Hebbel sich ausdrückt,
nachzugehen. Die bisherigen Darstellungsversuche der Künstlerästhetik beschränken
sich auf eine einseitige Würdigung der theoretischen Aussagen und ignorieren völlig
die Kunstwerke, d. h. sie kümmern sich nicht um die Möglichkeiten eines gegen-
seitigen Sichbedingens von Denken und Schaffen. Aber gerade erst aus solchen
Wechselwirkungen heraus werden die individuellen Kunstprinzipien überhaupt ver-
ständlich. Einerseits aus seiner künstlerischen Praxis das Wesen und Werden der
Theorie eines bildenden Künstlers abzuleiten, andererseits die Einwirkung seines
ästhetischen Denkens auf sein praktisches Gestalten nachzuweisen, darin besteht die
eigentliche literarische Aufgabe, die freilich dadurch besonders erschwert wird, daß
die Philosophie des Schaffens bisher viel weniger gründlich erforscht ist als die des
Genießenden. Die künstlerische Natur ist eine durchaus aktive. Der Künstler als
solcher ist ein Handelnder und nicht ein Betrachtender. Gerade die Fähigkeit, vom
anschaulichen Erlebnis sofort zu dessen Gestaltung überzugehen, den Weg vom
Auge zur Hand zu finden, kennzeichnet seinen Charakter. Daher pflegen sich auch
die Probleme, die ihn als Künstler im engsten Sinne angehen, aus den Beziehungen
zwischen Material, Arbeitsweise und Werkzeug zu ergeben, wie solche sich im
Einzelfall gestalten.
Von seinem jeweiligen Arbeitsmaterial empfängt der Künstler mannigfache
Reize. Einmal läßt sich von einer gewissen Verliebtheit des Künstlers in sein Material
reden — handele es sich um Stein, Farben oder sonst ein Gestaltungsmittel. Von
der Sinnlichkeit des Stoffes kann eine Aufregung ausgehen, die sich der ganzen künst-
lerischen Psyche bemächtigt. So lockt bestimmte Künstlernaturen nur das Schwere,
Widerstand leistende, einen Kampf verheißende Material. Zweitens: es ist der An-
regungskraft des Materials Rechnung zu tragen. Die zufällige Form eines Blockes
kann die Idee einer Statue wachrufen, eine Art Voraussicht des fertigen Werkes,
die die Arbeit selbst führt und begleitet. Der eigentliche künstlerische Konflikt er-
hebt sich aber erst da, wo das Material mit seinen natürlichen Gesetzen dem künst-
lerischen Schöpfungsdrange Schranken setzt, die Produktion in ganz bestimmte Bahnen
lenkt. So kann es zu einem Kampfe kommen zwischen dem seelischen Rhythmus