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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Waetzoldt, Wilhelm: Das theoretische und praktische Problem der Farbenbenennung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0374
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WILHELM WAETZÖLDT.

grün — blau — gelb — weiß — schwarz als psychologischer Haupt-
farben und der Charakter der übrigen Farbentöne als psychologischer
Nebenfarben aus. Die Sprache bezeichnet nicht das für die Empfin-
dung Einfache von vornherein einfach, ist sie doch nicht der erschöp-
fende Ausdruck eines psychologischen Tatbestandes, sondern es ist
einfach die objektive — noch näher zu beschreibende — Bedeutung
der Eindrücke: rot, grün, blau u. s. w., die sie zu einfachen Namen
kommen ließ. »Nicht alles, was die Empfindung unterscheidet, unter-
scheidet auch die Sprache, sondern diese begnügt sich damit, für die-
jenigen Eindrücke gesonderte Bezeichnungen zu schaffen, deren Unter-
scheidung für den Ausdruck der Gedanken und für die Verständigung
mit anderen erforderlich ist« * 2).
Bei den Griechen waren unterscheidende Bezeichnungen für Rot
früher vorhanden als für Blau und Grün. Fehlen ihnen also eine
Anzahl einfacher Ausdrücke für qualitativ »einfache« Empfindungen,
so finden sich daneben alte einfache Farbennamen für qualitativ »zu-
sammengesetzte« Empfindungen. (Die Frage, ob der Unterschied der
Hauptfarben von den Nebenfarben in dem Gegensatz von Einfachheit
und Zusammengesetztheit gesucht werden darf, geht uns hier nichts
an.) Homer gebraucht die Bezeichnung yXwpöv für eine gelbliche Grün-
nuance, für den Eindruck des Saatgrünes etwa, Tcpdotvov für lauchfarben,
also eine dunkle Grünschattierung. Die deutsche Sprache hat neben
den einfachen Bezeichnungen für Grundfarben die abstrakten Namen
Grau und Braun für Übergangsfarben. Daß anderseits gerade für Blau
und Grün nur ein Wort häufig von Homer angewendet wird, hat
seinen Grund wahrscheinlich in dem Vorhandensein zahlreicher natür-
licher Dinge und Erscheinungen, deren Farbe wirklich zwischen Grün
und Blau steht, oder die, wie das Meer, abwechselnd grün und blau
sind.
Zusammenfassend läßt sich also wohl sagen: die Farbenbezeich-
nungen haben sich zwar im Anschluß an die Eigenart der bewußten
Erlebnisse gebildet, sie sind aber weder eine getreue Wiedergabe, noch
erschöpfen sie den Reichtum des Empfundenen und Empfindbaren.
Die Sprache muß, weil sie der Mitteilung dient, einfach sein: »Sie ist
gezwungen, die empfundenen Unterschiede bald zu verwischen, bald
zu übertreiben und die Dinge möglichst auf wenige, allgemein be-
kannte und vor Verwechslungen geschützte Typen zurückzuführen« 2).
Für den Zweck, das für die Mitteilung am meisten in Betracht Kom-

3) Wilhelm Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 3. Aufl.,
Hamburg u. Leipzig 1897, S. 107 f.
2) H. Ebbinghaus, Orundzüge der Psychologie, Leipzig 1902, I, 190.
 
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