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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Foth, Max: Die Raumillusion und die Unschärfe moderner Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0461
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BEMERKUNGEN.

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rechtigten Neuerungen können sich meist nur unter heftigen Kämpfen durchsetzen;
sie gelten lange Zeit als Bestrebungen zerstörungssüchtiger Umstürzler, ehe sie ihr
Daseinsrecht bewiesen und ihre Anerkennung erzwungen haben.
Wie viel Zeit mag vor allem vergangen sein, bis die kindliche Anordnung der
Bildelemente übereinander derjenigen des Hintereinanders wich, bis die rein orna-
mentale Verwendung von Menschen, Tieren und Bäumen ohne jegliche Tiefenwir-
kung eine primitive Raumdarstellung aufkommen ließ! Welcher Anstrengungen
mag es bedurft haben, um etwa von einer »Buschmannzeichnung aus einer Höhle
bei Hermon« (abgebildet bei Woermann, Geschichte der Kunst I, 45) oder gar von
einer Wagendarstellung der älteren Eisenzeit aus Ödenburg (siehe M. Verworn, Zur
Psychologie der primitiven Kunst 1908, S. 23) bis zu der Darstellungsweise auch
nur der mykenischen Steinschneide- und Goldschmiedekunst zu gelangen; und als
dann die Bilder begannen, in die Tiefe zu wachsen — wie lange dauerte es wiederum,
bis man zur Entdeckung der Linienperspektive kam, in Italien im 15., in Deutsch-
land im 16. Jahrhundert! Weist doch noch R. van de Weydens Münchener »Heiliger
Lukas malt die Madonna« nicht weniger als drei verschiedene Verschwindungs-
punkte auf! War es doch erst die Zeit der Renaissance, in der man sich der zu-
gleich trennenden und bindenden Kraft des Lufttones bewußt wurde, von dessen
Anwendung die naturwahre Wirkung eines Bildes zumeist abhängig ist!
Abermals 400 Jahre mußten vergehen, bis man zur Einsicht gelangte, daß die
Licht-, Schatten- und Farbenverhältnisse unter freiem Himmel wesentlich andere
sind, als die im Atelier beobachteten, bis die Freilichtmalerei der Impressionisten
und ihrer Vorläufer festen Fuß fassen konnte. Dennoch dürfte die Rolle des Im-
pressionismus damit erst zur Hälfte ausgespielt sein. Die von ihm ausgegangene
Bewegung scheint mir den Anstoß zu einer weiteren Korrektur der Darstellungs-
technik abgeben zu wollen.
In dem Impressionismus haben wir ein besonders treffendes Beispiel dafür, wie
schwer es oft wird, über Erscheinungen des gegenwärtigen Lebens klar und sicher
zu urteilen. Trotz der hohen Bedeutung dieser Richtung, trotzdem ihr von Freund
und Feind das größte Interesse entgegengebracht wird, ist man dennoch bis heute
zu keiner scharfen und erschöpfenden Begriffsbestimmung gelangt, ist man sich
weder über Umfang noch über Tendenz völlig klar. Während Vittorio Pica (Gli
Impressionisti Francesi, 1908) in einem Atem Jongkind, Lepine, Boudin und Manet
nennt, will Duret, der Freund und Testamentsvollstrecker Manets, nicht einmal Degas
als Impressionisten gelten lassen. Während Karl Scheffler in seiner Monographie
über Max Liebermann den Impressionismus, den Ausdruck des »Zeitsollens«, in
schärfsten Gegensatz zu der Romantik stellt, als dem Stile des »Zeitwollens«: er-
klären R. Hamann (Impressionismus in Leben und Kunst) und R. v. Kralik (Vor-
träge im Museum für Kunst und Industrie in Wien 1904) die Romantik geradezu
als eine der Erscheinungsweisen des Impressionismus. Während Scheffler, bemüht,
den tieferen Zusammenhang des letzteren mit der allgemeinen Kultur aufzudecken,
den Sinn des neuen Stils darin erblickt, daß dem Jahrhundert der Naturwissen-
schaften, der Entthronung des Menschen als »Herrn der Welt« und dessen Ein-
reihung in das Netzwerk der mehr passiven als aktiven Geschöpfe überhaupt, daß
dem Jahrhundert Darwins und Häckels sein künstlerischer Ausdruck ward: spricht
Hamann von dem Impressionismus als »einem Endstil der Kulturen«, als einem
Symptom der geistigen und nervösen Erschlaffung. Tot capita, tot sententiae!
Ist es demnach einstweilen noch nicht möglich, eine einwandfreie Begriffs-
bestimmung des Impressionismus von psychologischem und kulturgeschichtlichem
Standpunkte aus zu geben, so läßt sich doch, meines Erachtens, ein durchgreifen-
 
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