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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0468
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BESPRECHUNGEN.

essanten Stellung in der Ästhetik seines Jahrhunderts, außer dem Kamp! zwischen
herrschenden Richtungen und eigenwilligen, künftige Entwickelungen vorausnehmen-
den Neigungen bietet Heinse jedoch für den Betrachter noch einen Reiz, den andere
Übergangserscheinungen jener Zeit nicht haben: daß man es immer mit einer Voll-
natur zu tun hat.
Utitz nennt sein Buch »eine problemgeschichtliche Studie« und deutet damit
an, daß er in Heinse mehr den Repräsentanten geistiger Bestrebungen sieht, die
seiner ganzen Zeit eigneten, als die menschlich und künstlerisch besondere Erschei-
nung, die die Probleme der geistigen Kultur nur in ihrer individuellen Weise zu
lösen versuchte. Utitz sucht Heinses Ästhetik als ein Ganzes darzustellen: sein
Material sind Heinses Werke und Briefe in der kritischen Ausgabe, die Schüdde-
kopf im Inselverlag veranstaltet hat, und die von Jessen in seinem Buch: »Heinses
Stellung zur bildenden Kunst« (1902) herausgegebenen Teile des Nachlasses. Utitz
berührt sich vielfach mit den Resultaten Jessens, kommt aber doch insofern über
die Ergebnisse der älteren Heinseliteratur hinaus, als er zum ersten Male den
Standpunkt weit genug wählt, um das Ganze von Heinses Ästhetik übersehen zu
können. Er zieht die Äußerungen über Poesie mit heran und behandelt ausführlich
den musikästhetischen Gehalt des Romans »Hildegard von Hohental«. Es ist freilich
zu fragen, ob nicht eine Benutzung des handschriftlichen Nachlasses nötig gewesen
wäre. Wenn uns Jessen von einer nachgelassenen Kritik über »Wilhelm Meister«
erzählt, so wünschten wir diese im Interesse der Kenntnis von Heinses Poetik
analysiert zu sehen: denn man kann wohl sagen, daß die Stellung zu diesem Werk
bei den Zeitgenossen — man denke an die Romantiker — ein Prüfstein der ästheti-
schen Meinung war. Gerade zu der Romantikerästhetik würde man vielleicht inter-
essante Parallelen erhalten.
Es ist Utitz darum zu tun, Heinse nicht nur in den Zusammenhang der problem-
geschichtlichen Entwickelung einzureihen, sondern auch die Ergebnisse seiner
Ästhetik, die Heinse selbst nicht zum System zusammengeschlossen hat, übersicht-
lich hinzustellen und an sie den Wertmaßstab moderner Ästhetik anzulegen. Diese
an sich berechtigte Tendenz einer vom gegenwärtigen Stand der Ästhetik ausgehen-
den Wertabmessung wird meinem Gefühl nach nur dadurch störend, daß sie bei
Utitz nie gesondert von der historischen Darstellung der Entwickelung auftritt, son-
dern stets von ihr durchkreuzt wird. Als endgültiges Bild der Heinseschen Ästhetik
ergeben sich folgende Sätze: »Für Heinses reife Jahre maßgebend ist die Definition
der Schönheit: leichtfaßliche Vollkommenheit für Sinn und Einbildungskraft. Kunst
ist Darstellung eines Ganzen für die Einbildungskraft. Die verschiedenen Künste
unterscheiden sich durch die Mittel der Darstellung. Entstanden ist die Kunst aus
Kraftüberschuß (Spieltrieb). Das vornehmste Gesetz der Kunst ist das der Natur-
nachahmung, daraus wird die Forderung nach einer nationalen Kunst abgeleitet.
Jedoch nicht reine, sondern reinigende Naturnachahmung zeichnet die erhabenen
Kunstwerke aus; der Künstler muß eine ,edle‘ Auswahl treffen, denn die Kunst
geht auf das Allgemeine und Typische und soll Ideale geben: ,Vollkommenheit einer
Klasse von Wesen'.«
»Form und Inhalt durchdringen einander völlig im vollendeten Kunstwerke. Die
Form ist das Mittel, den Inhalt zum Ausdruck und Genuß zu bringen, dessen (!)
hoher Wert aufs nachdrücklichste anerkannt wird. In Bezug auf den Inhalt gilt das
Gesetz, daß ,psychische Schönheit' wertvoller ist als physische, daß also die Kunst
vornehmlich Psychisches zum Ausdruck bringen soll.«
Dem stehen aber, muß man einwenden, auch Äußerungen Heinses gegenüber,
die das Ziel der Künste in der Darstellung körperlicher Vollkommenheit und in der
 
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