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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0472
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BESPRECHUNGEN.

kennte, der in seiner Anatome cerebri mystica im Gehirn ein männliches und ein
weibliches Glied vorhanden sein und ihre Vermischung die Entici rationis er-
zeugen läßt.
Genug des Unsinns! Auch auf die weiteren ästhetischen Erörterungen des Ver-
fassers gehe ich nicht ein. Es sind im wesentlichen Gedanken einer Funktions-
theorie des ästhetischen Genießens, die andere schon besser formuliert haben. Man
hätte übrigens meinen sollen: vestigia terrent, nachdem schon ein Nietzschejünger,
Gustav Naumann, im Jahre 1899 mit seinen »Prolegomena zu einer physiologischen
Ästhetik« unter dem Titel »Geschlecht und Kunst« gescheitert war. Das Selbst-
bewußtsein unseres Autors wird sich jedenfalls damit abfinden müssen, daß ihm
sein erotisch-ästhetisches System mit Dank zur Verfügung gestellt wird. Er kann
nichts Besseres tun, als die Trümmer seines »Versuchs« liegen zu lassen — ein
warnendes Exempel für materialistischen Begriffsunfug.
Friedenau. Theodor Poppe.

RobertSommer, Goethe im Lichte der Vererbungslehre. Mit 4 Abbil-
dungen. Leipzig 1908, Joh. Ambr. Barth. 125 S.
Der Gießener Psychiater hat begonnen, sich der »Familienforschung und Ver-
erbungslehre« mit Eifer anzunehmen; indem er aber verdienstlicherweise von der
bisherigen Allgemeinheit der Erblichkeitsvorstellungen zu greifbaren Einzelergeb-
nissen hinübersteuern möchte, zeigt er doch selbst in seiner Untersuchung einst-
weilen nur, wie weit es uns dazu noch an Methode gebricht. Die Ähnlichkeits-
kriterien, die er bringt, sind teils allgemein zeitlich bedingte (wie die »Reformations-
stimmung«, an sich ein glücklicher Ausdruck, S. 108) oder sie sind erzwungene, wie
wenn (S. 105) »eine ausgeprägt physikalisch-mathematische Begabung« zu natur-
wissenschaftlichen Studien von völlig anderer, man möchte sagen entgegengesetzter
Art in Beziehung gebracht wird; denn die »große Deutlichkeit der optischen
Vorstellungen« machte Goethe ja gerade zum abgesagten Feind der abstrakt-
mathematischen Betrachtungsweise! (Man denke etwa an G. Kellers Zeugnis über
seine Unfähigkeit, Jakob Henles anatomische Vorlesungen ohne malerische Verdeut-
lichung seiner Metaphern anzuhören!)
So muß ich denn gestehen, daß mir wenige Persönlichkeiten bekannt sind, bei
denen ich so wenig auf den Gedanken eines Vergleichs mit Goethe geraten würde,
wie der von Sommer ausführlich besprochene Naturforscher Ferdinand Lindheimer.
Ein einsamer Sonderling, ein leidenschaftlich politisch interessierter Mensch, ein
untergeordnetes Talent — man muß schon mit Goethe verwandt sein, um ein
Heraussuchen von Übereinstimmungen anzuregen! Die optische Vorstellungs-
kraft (S. 43), die Freude am Wandern (S. 53), der Entwickelungsgedanke (ebenda)
— lauter Momente, die darauf hinauslaufen, daß beide zur Naturforschung veran-
lagt waren, würden Alexander v. Humboldt zu einem viel näheren Vetter Goethes
machen, wie ich denn auch an den zahlreich mitgeteilten Stilproben durchaus nichts
Besonderes zu finden vermag: sie gehören der guten Schule beschreibender Natur-
forschung an, die von Förster, Humboldt, Ritter ausgeht und die Roßmäßler,
Schleiden, Brehm, Prinz Wied und zahlreiche Zeitgenossen umfaßt. Wie denn
Sommer auch in der vorausgeschickten kleinen Schrift über »Goethes Wetzlarer
Verwandtschaft« alles Typische in der Schreibweise des Prokurators Lindheimer vor-
eilig als individuell aufgefaßt hat.
Immerhin kann zugestanden werden, daß für die wichtige Frage nach den
Trägern der Vererbung, sozusagen nach den Relais der Familieneigenheit, in der
 
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