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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0491
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BESPRECHUNGEN.

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zueinander wie 1 : 2 :: 2 : 4, da gewöhnlich ein Thema zwei Phrasen (Kola) und vier
Motive (Takte) enthält. Die getreue Darstellung dieser Strukturlinien der musika-
lischen Formen verlangt die Entwickelung primärer, sekundärer und tertiärer Rhyth-
men, so daß eine Dreifältigkeit in der Form der Rhythmen ... in dem technischen
Wirken des Pianisten geschaffen werden muß. Die Armglieder stehen zueinander
im Verhältnis wie 1 :2:: 2:4, denn der eine Knochen oder die Formbasis des
Oberarms läßt seinen Einfluß durch zwei solcher Formbasen in den Vorderarm
ausstrahlen, ebenso ähnliche Formverzweigungen von dem Vorderarm in die Hand-
wurzel und die mit dieser in Verbindung stehenden vier Finger. Diese Formglieder
des Armes dienen dem Zweck, der Involution und Evolution der Bewegungslinien
Ausdruck zu verleihen, welche die harmonische Folge der musikalischen Form ver-
körpern« (S. 55/56).
All diese Theorien werden von Clark Liszt in den Mund gelegt, zum Teil auch
aus der Art des Lisztschen Klavierspiels in seiner letzten Lebensperiode abstrahiert,
in breitester Darlegung unter häufiger Bezugnahme auf Schillersche Ästhetik, nach-
dem in den ersten Abschnitten des Buches Clarks Jugend erzählt worden und seine
»Pilgerfahrt zu Liszt« — er ist als halbwüchsiger Jüngling, um zu Liszt zu ge-
langen, aus Amerika nach Deutschland gekommen und von Leipzig zu Fuß im
Winter über die Alpen zu ihm nach Sorrent gewandert. Der Schlußteil berichtet
Persönliches, zum Teil Allzupersönliches über Clarks Schicksale nach seinem Fort-
gange von Liszt und das weitere Werden und Ausgestalten seiner Lehre. Überall
ist Wahres und Erdichtetes so eng verwoben, daß der Verfasser scheinbar selbst
nicht mehr zu scheiden vermag, was er in der Wirklichkeit erlebt, was erträumt
und dann gestaltend verdichtet hat.
Eine eigentlich kritische Besprechung des Buches wird — ganz abgesehen
davon, daß es als Grundlage einer Art neuer Religion vom Verfasser augenschein-
lich gedacht ist —, erst möglich sein, wenn Clark eine praktische Schule der
Klaviertechnik auf Grund dieser Theorien vorgelegt haben wird, und es ihm dann
gelingt, von den körperlichen Bewegungen, die ihm vorschweben, eine präzisere
Vorstellung zu geben, als es bis jetzt geschehen ist, und auch den überaus glück-
lichen Gedanken von der Einheit der technischen Bewegung mit der Darstellung
der musikalischen Form eingehender und klarer veranschaulicht. Das Buch gibt
überwiegend nur verschwommene Bilder, zum Teil durch die häufig wechselnde
Bezeichnungsweise für wohl gleiche Vorstellungen.
Man wird jedoch schon jetzt einigen Zweifel hegen müssen, ob sich Clarks
Techniktheorie bei dem jetzt üblichen Bau der Klaviere wird in die Praxis umsetzen
lassen. Er selbst läßt Liszt ebenfalls einmal verlangen (S. 52): »ein anderes Klavier,
nicht schlagartig, sondern auf Bebung gebaut, sogar unendlich kugelgelenkig«.
Vom musikalischen Standpunkte aus erscheint auch der Vorrang, der durch Clarks
Theorie dem Klavierspiel vor jeder anderen musikalischen Betätigung eingeräumt
wird, völlig unberechtigt. Und schließlich muß betont werden, daß Clark, wie viele
andere, völlig vergißt, daß die Klaviermusik selbst sich nicht nur »aus dem Geiste«,
sondern auch in reichem Maße »aus der Mechanik des Klaviers« gebildet und ent-
wickelt hat.
Trotz allem ist »Liszts Offenbarung« ein Buch, das bemerkt zu werden verdient,
und dessen reicher Gehalt eine so ausführliche Anzeige rechtfertigt, weil er manches
bringt, was auch für die exakte Musikästhetik fruchtbar werden kann.
Grunewald-Berlin.

Werner Wolffheim.
 
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