Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

DOI article:
Laurila, Kaarle S.: Zur Theorie der ästhetischen Gefühle
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0513
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ZUR THEORIE DER ÄSTHETISCHEN GEFÜHLE.

509

nämlich das ganze Gerede von einem ästhetischen Maßstab mit der
Natur der ästhetischen Betrachtung unvereinbar scheint — soweit
diese Natur uns nämlich ohne begriffliche Analyse schon bekannt ist.
Sollten die ästhetischen Gefühle ihre Entstehung dem Umstand ver-
danken, daß wir einen bestimmten Maßstab in gewissen Erscheinungen
erfüllt sehen, dann wäre ja allemal zum Zustandekommen der ästhe-
tischen Gefühle ein Vergleich notwendig, ein Vergleich zwischen der
Erscheinung und diesem Maßstab. Aber ein Vergleich — was ist
das anderes als ein In-Beziehung-Setzen, ein Übergehen von dem zu
betrachtenden Gegenstand zu einem anderen, nämlich zu dem, womit
er verglichen werden soll, ein Hin- und Hergleiten zwischen den beiden?
Wer einen Gegenstand mit etwas vergleicht, betrachtet nicht den
Gegenstand als solchen, sondern sein Verhältnis zu dem Maßstab,
womit er verglichen werden soll. Nun zeigt aber schon eine ober-
flächliche Selbstbeobachtung, daß eben dies mit der Natur der ästhe-
tischen Betrachtung unvereinbar ist. Es ist das Eigentümliche der
ästhetischen Betrachtung — was uns schon ohne begriffliche Analyse
ihres Wesens an ihr auffällt —, daß dabei die Erscheinungen in ihrer
Isoliertheit, von allen Beziehungen losgelöst betrachtet werden, und
zwar so, daß der Betrachtende bei dem Gegenstände als solchem ver-
weilt und zu der Betrachtung seines Verhältnisses zu irgend etwas
nicht übergeht. — Die Annahme, daß die ästhetischen Gefühle an
einen Maßstab gebunden wären und ihre Entstehung einem Vergleich
zwischen den Erscheinungen und diesem Maßstab verdankten, ist also
schon mit der uns instinktiv bekannten Natur der ästhetischen Betrachtung
unvereinbar.
Dazu kommt noch ein weiteres. Damit eine Vergleichung der
ästhetisch betrachteten Erscheinungen mit einem Maßstab möglich sei,
muß natürlich ein solcher Maßstab vorhanden und bekannt sein. Nun
ist aber die Ermittlung eines solchen objektiven ästhetischen Maßstabes
nicht einmal in Bezug auf die sogenannten schönen Gegenstände ge-
lungen, wie die fruchtlosen Bemühungen der deduktiven Ästhetik ge-
zeigt haben x). Auch hilft es nicht viel zu sagen, dieser Maßstab existiere
doch, er sei nur unbewußt. Denn wenn er wirklich so unbewußt ist,
daß er auch nicht durch nachträgliche Selbstbesinnung und gewissen-
hafte psychologische Analyse, ja nicht einmal durch jahrhundertelanges
mühevollstes Nachdenken sich ermitteln läßt, dann kann man mit einem
so völlig »unbewußten« Maßstab auch nichts vergleichen.
9 Noch vor kurzem ist ein Buch erschienen, »Kritik der Philosophie des
Schönen« von Edward Kulke, worin mit beinahe pedantischer Gründlichkeit die
Unzulänglichkeit der verschiedenen historisch bekannten objektiven Schönheitsmaß-
stäbe nachgewiesen wird.
 
Annotationen