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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0636
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632

BESPRECHUNGEN.

hange, in dem er sich befindet, unter dem Signum as als linksseitiger (subdomi-
nantischer), in der Bezeichnung gis als rechtsseitiger (dominantischer) Wert in Bezug
auf ein Zentrum (hier der Ton d) zu verstehen ist. — Mayrhofer ist also, entgegen
den Bestrebungen mancher Akustiker nach mathematisch reiner Stimmung, ander-
seits entgegen den Träumen mancher hypermoderner Musiker von Vierteltönen, ein
Verfechter des zwölfstufigen Systems, das ihm als objektiv nicht mehr erweiterungs-
fähige Basis alles Musizierens gilt. Wie nun in der Vorstellung trotz der Be-
schränkung im Tonmaterial weitere harmonische Kreise sich bilden können, darauf
einzugehen fehlt hier die Möglichkeit.
Dieses wenige muß genügen, um von dem ungemein anregenden Inhalte des
Buches eine Andeutung zu geben. Zum Schlüsse darf aber nicht verschwiegen
werden, daß die Art der Darstellung hier wie in der Psychologie des Klanges
wenig befriedigend ist. Nie habe ich einen solchen Zwiespalt zwischen den klar
erschauten Grundgedanken eines Autors und ihrer wirren, ungehobelten Ein- und
Umkleidung bemerkt, nie einen solchen Mangel an Selbstzucht zur Beherrschung
des sprach- und gedankentechnischen Apparates, wo doch ein reicher und origineller
Geist ein solches Handwerkszeug dringend brauchte. So stellen Mayrhofers Unter-
suchungen noch lange kein fertiges und praktisch verwendbares System dar, wohl
aber einen teilweise bearbeiteten Rohstoff zu einem solchen, diesen aber in solcher
Fülle und Güte, wie ihn meines Erachtens kein Forscher vor ihm zu Tage förderte.
Für mich bedeutete das Studium der Mayrhoferschen Gedankengänge das stärkste
theoretische Erlebnis. Dieses Bekenntnis verpflichtet mich, denke ich, auch die
geradezu verunstaltenden Mängel des Buches nicht zu verschweigen. Viele psycho-
logisch sein sollenden Begründungen erscheinen mir unhaltbar; die notwendigen
akustischen Tatsachen werden fast oberflächlich, jedenfalls ohne genügende Bemühung
um exakte Daten, erledigt, ja eine Fülle von falschen Aufstellungen findet sich.
Die Behandlung des Konsonanz- und Dissonanzproblems ist so, wie sie Mayrhofer
bringt, unannehmbar. Von dem bisweilen saloppen Stil des Autors sei nicht aus-
führlicher gesprochen. In einem dem Riemannschen Systeme gewidmeten Kapitel
bekämpft der Verfasser eine Lehre, die er offenbar nur zum Teil kennt. Die musi-
kalischen Beispiele, die zur Erläuterung beigegeben werden, entbehren jeder künst-
lerischen Formung, sind also für praktische Musiker belanglos. Trotz all dieser,
die Lektüre des Werkes erschwerenden Momente empfehle ich jedem, der sich mit
harmonietheoretischen Fragen beschäftigt, das Studium dringend, denn ich bin über-
zeugt, daß die voraufgehend angedeuteten Ideen von grundlegender Bedeutung für
die Fortentwickelung der theoretischen und mithin auch der praktischen Harmonie-
lehre sind.
Potsdam.

Hermann Wetzel.
 
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