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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Margolin, Frieda: Die Theorie des Romans als die Poesie der Poesie in der Frühromantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0209
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DIE THEORIE DES ROMANS IN DER FRÜHROMANTIK.

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Ironie und Witz sind die romantischen poetischen Symbole. Durch
diese Symbole zeigt der Dichter die ideelle Bedeutung der Dinge.
Eine Kenntnis der Dinge ist also erforderlich, um sie nach be-
liebigen Zwecken, gemäß dem ideellen Gehalte der Dichtung, behandeln
zu können. Goethe sagt: »Dichten ist ein lustiges Handwerk.« Und
Goethe in der Gestalt des Klingsohr belehrt über dieses Handwerk
den jungen Heinrich: »Ich kann Euch nicht genug anrühmen,« sagt
Klingsohr Heinrichen, »Euren natürlichen Trieb zu wissen, wie alles
sich begibt und untereinander nach Gesetzen der Folge zusammenhängt,
mit Fleiß und Mühe zu unterstützen. Nichts ist dem Dichter unent-
behrlicher, als Einsicht in die Natur jedes Geschäfts, Bekanntschaft mit
den Mitteln, jeden Zweck zu erreichen, und Gegenwart des Geistes,
nach Zeit und Umständen, die schicklichsten zu wählenx).«
Der Dichter kann seine Idee nicht nur in der umgebenden Welt
seiner Zeit, sondern auch in einem geschichtlichen Stoffe verkörpern,
wie es etwa Novalis, Tieck in ihren Romanen taten. Die Geschichte
ist aber dem Dichter nicht Selbstzweck; sie ist bloß Mittel zur Ver-
anschaulichung der Idee; er verfährt mit ihr ganz frei, und darin ist
Shakespeare für Dichter aller Zeiten mustergültig. Shakespeare be-
handelt den Stoff ebenso frei, wie Goethe die Form. »Die Art, wie
Shakespeare den Stoff umbildet, ist dem Verfahren nicht unähnlich,
wie Goethe das Ideal einer Form behandelt* 2).« Daher lobt Friedrich
Schlegel an Tiecks »Sternbald« die Untreue dem geschichtlichen Stoffe
gegenüber; denn die genaue historische Behandlung würde gerade
»das Individuelle zerstören, also das beste und das eigentliche Wesen
desselben, die ihm eigene Anmut und Lieblichkeit, die sich leicht be-
wegt, wie man im Frühlinge atmet3).«
Die bewußtgewordene Poesie begnügt sich nicht mit dem instink-
tiven Verfahren der Phantasie; der Ideendichter, der mit Bewußtsein
arbeitet, sucht die Phantasie gemäß seiner Idee und deren sinnlichen
Verkörperung »willkürlich« zu beschränken, so wie es Goethe, ins-
besondere in seinen reiferen Werken, z. B. in Wilhelm Meisters
Lehrjahren«, tat. »Die geheimen Absichten,« meint Friedrich Schlegel
von Goethes dichterischem Verfahren in »Wilhelm Meister«, »die er

ö Novalis Bd. IV, S. 166. (Heinrich von Ofterdingen.) Die Belehrung Kling-
sohrs mahnt an die lebendigen Worte Goethes im Gespräche mit Eckermann. Der
Poet soll mach mannigfaltiger Kenntnis streben; denn die ganze Welt ist sein Stoff,
den er zu handhaben und auszusprechen verstehen muß.« Eckermann, Gespräche
mit Goethe. Recl.-Ausg. Bd. I, S. 156.
2) Friedrich Schlegel Bd. II, S. 381.
3) Friedrich Schlegel in der Ausgabe von Walzel (Kürschners Nationalliteratur)
S. 376.
 
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