DAS PROBLEM DER FARBENBENENNUNG.
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können wir zwei Grundmethoden unterscheiden; ich möchte sie die
begriffliche und die impressionistische Methode der Koloritbeschreibung
nennen.
1. Die begriffliche Methode. Ihre Aufgabe ist es, der Farbenarchi-
tektonik eines Bildes nachzuspüren, die koloristische Rechnung be-
grifflich zu zergliedern und mit Hilfe einer Mehrheit möglichst einfacher
Farbenangaben den koloristischen Charakter eines Bildes zu beschreiben.
Dahin gehört z. B. die Beantwortung der Frage, ob es sich im jewei-
ligen Falle um ein Werk der koloristischen Eindruckskunst oder um
ein solches der koloristischen Erfahrungskunst handelt, das heißt, ob
in dem betreffenden Bilde die Erlebnisse des aktiven oder die des
passiven Sehens dargestellt sind1). Es ist ferner anzugeben, ob die
koloristischen Wirkungen erreicht worden sind durch eine den natür-
lichen Verhältnissen annähernd entsprechende Abstufung von Farben-
werten (Valeurs) oder durch die Objektivierung subjektiver Begleit- und
Folgeerscheinungen starker Farbenerlebnisse. Die wichtigste Aufgabe
der begrifflichen Methode der Koloritbeschreäbung liegt aber in der
eingehenden Analyse der Farbenkomposition. Dahin gehört das Be-
antworten folgender Fragen: Enge und Weite der Palette, also Farben-
umfang — Wärme und Kälte, Helligkeit und Sättigung, also Qualität des
Kolorits, dann die Farbendisposition, d. h. das Rechnen mit einer ge-
meinsamen Wirkung aller Farbentöne entweder gemäß dem Prinzip der
Staffelung oder gemäß dem des Gegensatzes. Ferner ist anzugeben,
welche Farben führen, welche nur eine begleitende Rolle spielen, ob
der Blick des Bildbetrachters zentripetal oder zentrifugal, diagonal oder
in welcher Weise sonst durch den Farbenaufbau geführt wird — dann,
ob die einzelnen Farben in kleineren oder größeren Mengen hingesetzt
worden sind, wie also die quantitative Farbenverteilung beschaffen ist.
Die Beschreibung des ästhetischen Charakters der Farbengebung ist
in der Koloritbeschreibung schließlich zu ergänzen durch die Analyse
des Farbenauftrags, also der Pinselführung, der flächen- oder flecken-
haften Technik u. s. w.
In der kunstgeschichtlichen Literatur finden sich erst verhältnismäßig
sehr wenige Versuche methodischer Koloritbeschreibungen, und diese
berühren nur einzelne der angedeuteten Probleme.
So beschreibt z. B. E. v. Bodenhausen den auf dem Kontrastprinzip
beruhenden Farbenaufbau eines Bildes von Gerard David (München 1905,
S. 62):
»David hat der Gegenfarbe die erste bildmäßige Verwertung in der
9 Vgl. meine Besprechung der ästhetischen Farbenlehre von Utitz im Aprilheft
dieser Zeitschrift.
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können wir zwei Grundmethoden unterscheiden; ich möchte sie die
begriffliche und die impressionistische Methode der Koloritbeschreibung
nennen.
1. Die begriffliche Methode. Ihre Aufgabe ist es, der Farbenarchi-
tektonik eines Bildes nachzuspüren, die koloristische Rechnung be-
grifflich zu zergliedern und mit Hilfe einer Mehrheit möglichst einfacher
Farbenangaben den koloristischen Charakter eines Bildes zu beschreiben.
Dahin gehört z. B. die Beantwortung der Frage, ob es sich im jewei-
ligen Falle um ein Werk der koloristischen Eindruckskunst oder um
ein solches der koloristischen Erfahrungskunst handelt, das heißt, ob
in dem betreffenden Bilde die Erlebnisse des aktiven oder die des
passiven Sehens dargestellt sind1). Es ist ferner anzugeben, ob die
koloristischen Wirkungen erreicht worden sind durch eine den natür-
lichen Verhältnissen annähernd entsprechende Abstufung von Farben-
werten (Valeurs) oder durch die Objektivierung subjektiver Begleit- und
Folgeerscheinungen starker Farbenerlebnisse. Die wichtigste Aufgabe
der begrifflichen Methode der Koloritbeschreäbung liegt aber in der
eingehenden Analyse der Farbenkomposition. Dahin gehört das Be-
antworten folgender Fragen: Enge und Weite der Palette, also Farben-
umfang — Wärme und Kälte, Helligkeit und Sättigung, also Qualität des
Kolorits, dann die Farbendisposition, d. h. das Rechnen mit einer ge-
meinsamen Wirkung aller Farbentöne entweder gemäß dem Prinzip der
Staffelung oder gemäß dem des Gegensatzes. Ferner ist anzugeben,
welche Farben führen, welche nur eine begleitende Rolle spielen, ob
der Blick des Bildbetrachters zentripetal oder zentrifugal, diagonal oder
in welcher Weise sonst durch den Farbenaufbau geführt wird — dann,
ob die einzelnen Farben in kleineren oder größeren Mengen hingesetzt
worden sind, wie also die quantitative Farbenverteilung beschaffen ist.
Die Beschreibung des ästhetischen Charakters der Farbengebung ist
in der Koloritbeschreibung schließlich zu ergänzen durch die Analyse
des Farbenauftrags, also der Pinselführung, der flächen- oder flecken-
haften Technik u. s. w.
In der kunstgeschichtlichen Literatur finden sich erst verhältnismäßig
sehr wenige Versuche methodischer Koloritbeschreibungen, und diese
berühren nur einzelne der angedeuteten Probleme.
So beschreibt z. B. E. v. Bodenhausen den auf dem Kontrastprinzip
beruhenden Farbenaufbau eines Bildes von Gerard David (München 1905,
S. 62):
»David hat der Gegenfarbe die erste bildmäßige Verwertung in der
9 Vgl. meine Besprechung der ästhetischen Farbenlehre von Utitz im Aprilheft
dieser Zeitschrift.