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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0634
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BESPRECHUNGEN.

Spezies und Gattung unterordnet, so ordnet sich der Begriff des Tongeschlechtes
dem des Tonkreises unter, d. h. jeder Tonkreis kann (rein theoretisch) in duriger
oder molliger Ausprägung erscheinen, zeigt aber in der Praxis stets eine Darstel-
lungsform, in der Dur- und Mollwerte sich mischen und miteinander abwechseln. Die
theoretische Aufstellung getrennter Tongeschlechter in der heutigen Theorie geschieht
(in der Tat) ohne Rücksicht auf die Praxis. — im fünfpunktigen Kreise (a c d e g)
äußert sich der tongeschlechtliche Gegensatz als Dur- und Molldreiklang c e g —
a c e. Beide stellen nur zwei Erscheinungsformen eines Kreises dar, der ja neu-
tral schon durch die Hauptstrecke c—e in abgekürztester Fassung, aber doch hin-
reichend repräsentiert wäre. — Im siebenpunktigen Kreise zeigt sich der ton-
geschlechtliche Gegensatz z. B. in diesen beiden Formen: g h d f = Durform;
h d f a = Mollform, d. h. Hauptstrecke h f einmal vereint mit der Hauptstrecke des
rechtsseitigen pentatonischen Kreises, das zweite Mal mit der des linksseitigen. Die
Dur- respektive Mollwirkung im siebenpunktigen Kreise ist also identisch mit der
heute als Dominant- respektiv Subdominantwirkung charakterisierten klanglichen Tat-
sache. Eine Vereinigung von Dur- und Mollformen findet sich häufig, z. B. als
a c e g im pentatonischen, als g h d f a im diatonischen Kreise.
Auch die Frage nach der Tonverwandtschaft findet schon ihre Beantwor-
tung in der Aufstellung fest bestimmter Tonkreise. Am nahesten verwandt sind
Tonpunkte, Strecken und Klänge, die zu einem engsten (pentatonischen) Tonkreise
gehören. Die Tonkreisverwandtschaft bemißt sich nach Quinten (respektiv
Quarten). Naturgemäß empfindet man die zwei Tonkreise als am nahesten ver-
wandt, die alle bis auf einen Tonpunkt gemeinsam haben. Zwei solche Tonkreise
liegen aber stets quintbenachbart. Die Quint (respektive Quart) dient also als Ein-
heitsmaß zur Berechnung der Tonkreisverwandtschaft.
Der Aufbau des Gesamttonkreises: der engste Tonkreis ist, wie schon
gesagt, der fünfpunktige, den Mayrhofer (wie alle Tonkreise) nach dem zentralen
Element, hier dem zentralen Tonpunkt, »Kern« genannt, bezeichnet. Also acdeg
= Glattzelle um d. Die Vereinigung dieses Kreises mit dem rechts- und linksseitig
(in Quintabstand) benachbarten pentatonischen Kreise (um a und g) ergibt den sieben-
punktigen Tonkreis um d, heut C-dur-Diatonik genannt. — Durch Angliederung
weiterer benachbarter Kreise entstehen die »Hochzellen«. Diese sind aber nicht
mehr wie die Primzellen Zelleinheiten, da sie nicht mehr wie jene durch eine
Streckenanschauung beherrscht werden und durch sie darstellbar sind. Denn wäh-
rend der siebenpunktige Kreis z. B. um d (C-dur-Diatonik) noch durch die Strecke
h — f allein darstellbar ist, ist die abgekürzteste Darstellung des nächsthöheren, neun-
punktigen Kreises um denselben Kern d nicht mehr durch eine Strecke, hier b — fis,
denkbar, sondern nur durch eine gleichzeitige oder nachzeitige Nebeneinanderstel-
lung der Hauptstrecken aus den beiden Eckglattzellen b — d und d — fis. Denn
eine Strecke b — fis an sich ist als solche, d. h. als übermäßige Quint, in der
temperierten (unsere gesamte Praxis beherrschenden) Stimmung überhaupt nicht auf-
faßbar und auch in freier Stimmung nie mit Sicherheit zu intonieren, da das Ohr
immer noch die Möglichkeit hat, eine pythagorische oder noch stärker überspannte
Terz anzunehmen. Ein b-—fis wird daher nur als Doppelterz b — d -J- d — fis klar
erkannt, d. h. sobald man es als eine Klangzweiheit versteht, wobei es belanglos
ist, ob das d erklingt oder nur vorgestellt wird. Solche Klangzweiheiten sind nun
alle von der heutigen Theorie als »alterierte Klänge« bezeichneten Gebilde, z. B.
der »verminderte Septakkord« h d f as, eint A . . ; zweier ino-Strecken, der »über-

mäßige Terzquartsextakkord« es g a cis, und alle übrigen. In allen solchen Doppel-
 
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