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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Kühn, Lenore: Das Problem der ästhetischen Autonomie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0070
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LENORE KÜHN.

gesetzmäßigkeit ein unmittelbares Verhältnis zum anschaulichen Stoff
im weitesten Sinn zugestanden — und deswegen werden ja Raum
und Zeit eben als Anschauungsformen bezeichnet — so ist nicht zu
verstehen, warum sie der Vermittlung des Theoretischen bedürfen soll,
um die Anschauung zu gestalten. -—
Gewiß läßt sich in eingeschränktem Sinne von bestimmten Arten
des Ästhetischen sagen, daß sie eine Umbildung der theoretischen
Formen seien, sofern eben das Interesse nur dahin gewandt ist, die
Umwandlung der als maßgebend betrachteten theoretischen Formung,
den Unterschied zwischen der »Formung« und der »Umformung« in
Betracht zu ziehen. Einmal aber kann diese Betrachtungsweise nicht
durchweg gültig sein, weil diese theoretischen »Formungen« nicht
einmal als regulative Prinzipien mit bedingter Gültigkeit durchweg im
Ästhetischen aufzuzeigen sind, da die spezifische, anschauliche, ästhe-
tische Formung vielfach gleich an das rohe Material von Anschauung
und Empfindung oder gefühlsmäßigen Momenten ansetzt; das Prinzip
ist also nicht ausreichend; zweitens aber findet dadurch eine Ver-
schiebung des Schwerpunkts der Betrachtung statt, indem das Inter-
esse, statt auf die Ausgestaltung des ästhetischen Wertes, auf die
Rolle, die der theoretische Wert in dieser teleologischen Reihe spielen
kann, gelenkt wird; dieses Prinzip ist also irreführend, weil es einen
sekundären Gesichtspunkt zum primären macht. Solches Irregeführt-
werden liegt nahe bei ästhetischen Formungen, wie z. B. den bilden-
den Künsten, wo der Anspruch einer unbedingten Gültigkeit des
Theoretischen bestimmte ästhetische Probleme überhaupt verdeckt
Die unzureichende Fragestellung wiederum zeigt sich vor allem klar
in der Musik; man fragt sich vergeblich, von welchem theoretisch
konstitutiv Geformten sie eine Umbildung vorstellt. Weder hat sie ein
»Objekt« im theoretischen Sinne aufzuweisen, noch ist ihre Folge als
eine kausale oder logische Folge zu verstehen.

III.
1. Raum und Zeit im Ästhetischen.
Wir nahmen zur Betrachtung des Problems der autonomen Ästhetik
hypothetisch an, daß Raum und Zeit für die Anschauung konstitutiv
sind, und daß es der ästhetische Wert ist, der sie begründet. Für
ersteres finden wir Hinweise bereits bei Kant1); für letzteres sollen
uns die folgenden Überlegungen zum Anhaltspunkt dienen. Die An-

J) Kr. d. r. V. S. 157, 172, 173, 517.
 
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