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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Hoeber, Fritz: Das Kulturproblem der modernen Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0007
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FRITZ HOEBER.

wandten« oder »Nutzkünste«, die Baukunst und das Kunstgewerbe,
erst ihre eigentlichste Bedeutung, ihren tiefgründigsten Zweck in der
Beziehung zu und der Verbindung mit der Umwelt: ihre geistige
und künstlerische Ergänzung ist der Mensch, der sie gebraucht.
Dieser kulturgeschichtlich bestimmte Faktor, der moderne Mensch,
erscheint damit den Nutzkünsten als die in sich konstante Vor-
aussetzung gegeben, nach ihm haben sie sich zu richten, ästhetisch
zu »stimmen«. — Das ist die Forderung, die unser Sehnen nach einem
»modernen Stil« meint1).

Weit entfernt von einer Erfüllung dieses so selbstverständlichen
Gebots, zeigte die bislang geübte Durchschnittsarchitektur den gekenn-
zeichneten Dualismus: sich selbst gerechter Kunstformen hier, einer
roh und unverhüllt sich brüstenden Technik da — in erschreckendem
Umfang. Auf der einen Seite soll die gegenwartsfremde Formenwelt
des durch die Stilgeschichte geheiligten Akademischen die Schmuck-

verschönt, einer Kunst, die nicht die Aufgabe hat, uns aus den Leben herauszu-
reißen, sondern erst recht an dieses zu fesseln (S. 45 ff.): das Problematische
im Wesen des rein Dekorativen liegt darin, daß es im stärksten Gegensatz zur
ästhetischen Isolation zu stehen scheint, nicht Selbstzweck ist. Das Dekorative ist
der Feind jedes Rahmens, es drängt gerade auf Unterordnung, auf Einord-
nung, nicht auf Selbständigkeit des Eindrucks. — Das Dekorative ordnet sich einem
Lebenszusammenhang ein, dessen Zwecke und Aufgaben völlig vom — prak-
tisch-aktiven — Interesse beherrscht werden. Darum stellt sich auch die Dekoration
durchaus in Gegensatz zu der mit der Isolation in Verbindung stehenden Inten-
sivierung und Konzentrierung (S. 50 ff.). Die Frage lautet: wie ist es möglich, daß
etwas zugleich ästhetisch, isoliert und zwecklos ist, ferner dem unmittelbaren Er-
leben (Eindruck) angehörig, nicht nur durch Wissen bedingt, und doch auch zweck-
voll und in den Zusammenhang des Lebens einbezogen? Die Antwort lautet dahin:
ästhetisch ist das Dekorative, soweit es über den reinen Zweck hinausgreift, als
solches weder nötig noch nützlich ist, sondern eine freie Zutat der künstle-
rischen Betätigung. Die Einordnung in den Lebens- und Zweckzusammen-
hang aber geschieht in der Weise, daß das Erlebnis, das die Dekoration anschau-
lich bietet, übereinstimmt mit der Lebensbetätigung, die durch den Zweckzusammen-
hang bedingt ist, und sich diesem Zweckleben unterordnet und im
Hintergrund bleibt.

') Vgl. Broder Christiansen, Philosophie der Kunst, Hanau 1909, IV. Der Stil,
S. 223—224. Richard Hamann, a.a.O. S. 113 ff. III. Das Wesen des Stiles: Der
subjektive Stilbegriff wird und muß herrschen bei der dekorativen Kunst, wie
überhaupt der Begriff des Stiles in ihr eine viel größere Rolle spielt als in der
Erlebniskunst. Denn sie erhält Stil zunächst durch Übereinstimmung ihrer Elemente
in der strengsten Form, der Reinheit und Harmonie. Außer diesen objektiven, weil
in der menschlichen Natur ganz allgemein angelegten Formen enthält sie aber
etwas Individuelles, Eigenartiges, das was in Beziehung zur Eigenart ihres
Besitzers und seiner jeweiligen Beschäftigungen tritt: Von der Umgebung eines
Menschen verlangt man deshalb ausdrücklich, daß sie seine Eigenart verrate und
dadurch Stil habe.
 
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