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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Schmidt, Paul Ferdinand: Klassizismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0169
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164 PAUL FERDINAND SCHMIDT.

tum und Charakter: so haben wir in ihm den vollkommensten Typ
des Klassizisten erkannt. —

Diesseits von Carstens hält sich der Klassizismus nicht auf seiner
Höhe. Zwar hat er Schüler und Nachfolger: Wächter, Schick, Thor-
waldsen, Genelli. Aber sein Genie konnte er nicht vererben, und da-
mit auch nicht seinen Stil. Sie veräußerlichten sein Innerliches, und
seine Größe und Herbheit ward unter ihren Händen zu gefälliger An-
mut. Was bedeutet des begabten Thorwaldsen ganzer Hain von Mar-
morgestalten gegenüber den wenigen Kartons, die in Weimar und
Kopenhagen von Carstens Zeugnis ablegen!

Das titanenhafte Ringen von Carstens war nicht vergeblich — das
zu behaupten wäre vermessen —, aber die Tragik seines Unterganges
entbehrte doch des rechten versöhnenden Schlusses, indem ihm der
künstlerische Widerhall fehlte.

Vielleicht kann man in Genelli noch am ersten seines Geistes ver-
spüren. Zwar ist er gefälliger, sein Können folgt weit geläufiger dem Fluge
seiner Phantasie, und er entgeht nicht ganz dem Malstrom der Manier.
Aber das Tragische des inneren Zwiespaltes lebt auch in ihm, das
Gefühl, ein nachgeborener Hellene zu sein, bei seelischer Unmöglich-
keit, den »Barbaren« abzustreifen; und diese Disharmonie des Klassi-
zisten gibt seinen Schöpfungen das großartig Herbe und Tiefe, das
wir bei den mühelos fließenden Deklamationen Thorwaldsens vermissen.
Bei dem Dänen wird der Klassizismus am Ende doch zu einer Phrase.
Er hat ihn in sich, ohne Rationalismus, mit nur leichter Zwiespältig-
keit, unnachdenklich und heiteren Gemüts, als wenn er sich wirklich
unter dem Himmel Roms in einen Südländer verwandelt hätte. Darum
wirken seine Werke auch unbefangener und naiver als die Canovas,
und stilvoller als die Schadows. In Thorwaldsen hat sich eine wunder-
liche Versöhnung des nordischen Charakters vollzogen und eine Ver-
schmelzung mit der schönen Form des Südens: er ist letzten Endes
der internationale Klassizist, der Klassizist ohne Heimat und Dis-
sonanz, und seine Kunst ein fast abstraktes Gebilde von der durch-
sichtigen aber charakterlosen Schönheit des Wassers.
 
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