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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Schmarsow, August: Kunstwissenschaft und Kunstphilosophie mit gemeinsamen Grundbegriffen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0171
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166 AUGUST SCHMARSOW.

eine ganze Reihe anderer Teilgebiete mitbeherrschen soll; aber sie
kann diese nicht immer selbst mit ausreichender Sachkenntnis durch-
dringen. In doppelter Hinsicht frommt es deshalb der Kunstwissen-
schaft, ihrerseits die Verständigung zu suchen und bei der Fest-
stellung ihrer Terminologie von vornherein das Augenmerk darauf
zu richten, daß sie mit derjenigen der Kulturwissenschaften nach
Möglichkeit im Einklang bleibe. So entschieden sie sonst darauf be-
stehen muß, ihr eigenes Rüstzeug selber auszubilden und nicht etwa
das fertige, notwendig allgemeiner zugeschnittene, des größeren Ganzen
einfach hinzunehmen, wie sie es vorfindet, als ob es auch zu ihren
besonderen Zwecken auszureichen vermöchte, so dringend bleibt für
sie die Pflicht, sich nicht kurzsichtig gegen den weiteren Sinn ihrer
Begriffe zu verschließen. Dies ist um so mehr der Fall, da sich
deren letzte befriedigende Klärung und deren entscheidende Trag-
weite häufig erst aus dem gemeinsamen Grunde gewinnen lassen, in
dem sie alle wurzeln.

Finden doch beide schon eine solche Unterlage in der Psycho-
logie bereitet, unter der hier ausdrücklich auch die Psychophysik so-
wohl wie die Völkerpsychologie mit eingeschlossen werden sollen,
wie anderseits die neuesten Abzweigungen, die differenzielle Psycho-
logie und die des emotionalen Denkens, deren Erträgnisse insgesamt
sich kein umsichtiger Forscher wird entgehen lassen1). Wir anerken-
nen und verwerten bereitwillig die reifen Früchte der Psychologie als
gemeinsame Grundlagen der Verständigung, auch wenn die Kunst-
wissenschaft ebensowenig wie die Kulturphilosophie gewillt sein kann,
ihre Autonomie aufzugeben und sich unter die Obervormundschaft
einer anderen, wenn auch noch so unentbehrlichen Disziplin zu stellen.
Wir dürfen ja nicht vergessen, daß die sprachlichen Bezeichnungen,
mit denen die Psychologie sich behelfen muß, wie »Empfindungen,
Gefühle, Vorstellungen usw.« noch immer nichts anderes als Abstrak-
tionen vermitteln, und daß vollends die geläufigen Erklärungen psychi-

auf den romanischen Kirchenbau und deren Ertrag, zu dessen anschaulicher Ver-
mittlung eigens ein Tafelwerk beigegeben ist. Keine Ahnung von dem Problem
des Rhythmus überhaupt, das unsere Psychologen beschäftigt! Ganz unzureichende
Aussagen über das, was denn eigentlich Gegenstand der Vergleichung zwischen
der Raumform hier und der Strophenform dort sei. Mit solchen gewissenlosen
Rezensionen (sogar gleich zwei Fliegen mit einer Klappe!) wird nicht allein die
Literaturzeitung um ihr Ansehen gebracht, sondern auch unsere Wissenschaft,
wo sie ernste, ausgereifte Lebensarbeit darbietet, dem Gespött der Laien preis-
gegeben.

') Vgl. Oskar Wulff, Grundlinien und kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre
der bildenden Kunst, Stuttgart, Ferd. Enke, 1917, S. Uff. und in dieser Zeitschrift
XII., Bd. 1-3.
 
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