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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Schmarsow, August: Kunstwissenschaft und Kunstphilosophie mit gemeinsamen Grundbegriffen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0232
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KUNSTWISSENSCH. U. KULTURPHILOSOPHIE M. GEMEINS. GRUNDBEGR. 227

faltiger, weitreichender Beziehung hervorhebt und herausstellt, mit
dem Anspruch, als solcher zu verharren und sich durch alle solche
Einstrahlung oder Ausstrahlung hindurch zu behaupten1). Wir kennen
diese Macht des frei aufragenden Steinblocks, den Menschenhand
noch nicht einmal zum regelmäßigen Gebilde geglättet, allseitig ab-
geflächt und unter das Gesetz der Kristallisation gebracht hat. Das
vorgefundene, roh belassene Naturding, der Holzpflock im Boden,
die Stange vollends, genügt schon als Anhalt für die Phantasie; denn
sie gibt schon das Wesentlichste, die Vertikalachse des Menschen-
körpers selber, und dient so, als sinnliches Substrat, durch die Zutat
des ankommenden Subjekts bereitwillig ergänzt, als Symbol des Wert-
gedankens oder der dunkeln Ahnung seiner künftigen Anwartschaft. Am
behauenen Stein aber waltet die Körperbildnerin, wie an dem Einzel-
gliede für den weiteren Aufbau des Raumgebildes, rein tektonisch,
um ihrem Werk die unmittelbar kenntlichen Wahrzeichen des Menschen-
willens aufzuprägen, daß es sich vom Spiel des Zufalls und vor-
gefundener Beute der Gelegenheit unterscheide. Der erste und der
letzte Zweck eines Monumentes ist immer die Verewigung eines
Wertes und insofern identisch mit dem Zweck jedes Kunstwerks.
Aber es gibt Werte, die der Veränderlichkeit alles Lebens zugrunde
liegen, die als konstitutive Faktoren den Wechsel der Zeiten über-
ragen und deshalb nach dem Verlangen des Menschen ihn auch
überdauern sollten. Das äußerste menschenmögliche Maß der Be-
harrung zu erreichen ist das Ziel, der äußerste menschenmögliche Aus-
schluß aller Bewegung das Verfahren, mit dem es erreicht wird. Er-
starrung ist der Preis, um den die Beharrung erkauft wird, und die
Kristallisation der Existenz, des bloßen Seins selber, auf Kosten der
Organisation alles Lebendigen ist der Prozeß, der sich mit der Ab-
sicht auf Monumentalität verbindet (a. a. O. S. 170 f.). Immer ist die
Abstraktion von der warmen Fülle des menschlichen Geschöpfes
und seiner Verwandten die Voraussetzung und haftet noch langehin
an dem Grundstock der weiter fortgeschrittenen Gestaltung als das
Eine, was not tut.

Gegenüber dieser kristallinisch denkenden und tektonisch regel-
mäßigen Körperbildnerin nennen wir den griechischen Namen Plastik,
der auch ihr gebührt, vorzugsweise da, wo sie sich anschickt, die
Formen des organischen Gewächses an den stereometrischen Kern
der Sache anzutragen, wie etwa den Menschenkopf an Stelle einer
Kugel auf dem eingerammten Pfahl, oder die Büste auf dem vier-
eckigen Steinpfosten, die dadurch beide zur Herme werden, einer Ver-

') Vgl. m. Grundbegriffe 1905, Kap. XII.
 
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