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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Schweitzer, Bernhard: Die Begriffe des Plastischen und Malerischen als Grundformen der Anschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0265
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260 BERNHARD SCHWEITZER.

sich verfestigen«. Gelangte man so zu der Ausscheidung vorzüglich
malerischer Phänomene aus den übrigen Darstellungsformen einer
reinen Flächen- und Farbenkünst, so mußte zunächst nach dem
Gegenpol gesucht werden, aus dem heraus oder im Kampf mit dem
sich das malerische Sehen, oder besser Schauen — im Sinne der re-
produktiven Vorstellung im Künstler — entwickelt hat. Es bedeutet
nur die Konsequenz seiner lediglich empirisch-induktiven Methode
der Begriffsbestimmung, wenn Wölfflin dem malerischen das lineare
Sehen gegenüberstellt. Da erhebt sich jedoch sofort die Frage, ob
diese Ergebnisse, gewonnen von historisch gegründetem Standpunkt
aus und gestützt auf Beobachtungen, die sich nur auf einen ver-
hältnismäßig kleinen Zeitraum kunstgeschichtlicher EntwicklujMyj,.,er-
strecken, wirklich Grundbegriffe im Sinne der Logik, d. h. Kategorien
des künstlerischen Schauens sind, aus denen heraus sich alle seine
Erscheinungsformen ableiten lassen. Sowohl von der Seite der reinen
Logik wie auch, wenn wir praktisch versuchen, sie über den frühesten
Ausgangspunkt Wölfflins nach rückwärts auch auf ältere Zeiten an-
zuwenden, muß ihnen diese Eigenschaft abgestritten werden. Die
Begriffe des Linearen und Malerischen sind nur eine durch natur-
wissenschaftliche Methode erreichte Klassifizierung derjenigen
künstlerischen Ausdrucksformen, die Wölfflins fein geschultes Auge
an Werken des 16. und 17. Jahrhunderts zu entdecken vermochte.
Aus ihnen läßt sich nichts ableiten, sie geben auch keine Gewähr
für die Vollständigkeit der von ihm gesammelten Phänomene. So
sieht er sich denn auch gezwungen, sie als passive Tatsachen zu
verzeichnen und sie aus physiologisch-psychologischen Veränderungen
des Sehvorgangs zu erklären. Mit der Möglichkeit einer solchen An-
nahme mögen sich die betreffenden Spezialwissenschaften abgeben.
Wenn wir jedoch, wie ich glaube, in schärferer Fassung des künstle-
rischen Schöpfungsaktes, das Schauen des Künstlers in dem oben
angedeuteten Sinn der Vorstellungsformung als das eigentlich Ent-
scheidende ansehen1), so werden wir die wirklichen Grundbegriffe
des Malerischen und seines Gegensatzes in zwei verschieden ge-
richteten Tendenzen des Kunstschaffens, in zwei diametral ent-
gegengesetzten Formen des Kunstwollens suchen, mag dieses nun
durch völkische Eigenart, zeitgeschichtliche Voraussetzungen oder
durch die Persönlichkeit des einzelnen Künstlers bestimmt sein. Nur
auf diesem Wege erhalten wir uns die Möglichkeit, die Formensprache
der verschiedenen Zeiten, wie postuliert werden muß, aus der inneren

l) Vgl. die ausgezeichneten Bemerkungen von E. Panofsky, diese Zeitschr. X,
1915, S. 461 ff.
 
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