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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Görland, Albert: Die dramatischen Stilgegensätze bei Grillparzer und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0311
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306 BEMERKUNGEN.

selbstzwecklich, einzelhaft nebeneinander gestellt werden. Jede Person muß seelisch
klar konturiert sein, muß, jede für sich, restlos eine individuelle Ganzheit sein.
Alle seelische Problematik, alle verschleierten Stellen der seelischen Durchzeichnung
würden ein Umstand sein, der die Wahrhaftigkeit und Bündigkeit der Fabel, des
dramatischen Fortganges in Frage stellte und das Drama gefährdete. Das heißt:
ein ungehobener Rest seelischer Tiefe wäre stilwidrig.

Man lese, wie Grillparzer in seinen Aufzeichnungen zu Sappho peinlich sich
Rechenschaft gegeben hat über alle Wandlungen, die die alternde Künstlerin, die
nun als Weib noch ihre Forderungen an das Leben stellt, seelisch durchzumachen
hat. Das gleiche Interesse hat er an Hero, der aus Familientradition zur Priesterin
Bestimmten; usw.

So dient auch das Licht, das in einem Werke Dürers zum Ausdruck kommt,
dazu, jede Gestalt in ihrer zeichnerischen Schärfe und Einzelcharakteristik zu
steigern. —

Gehen wir zu einem anderen Merkmal ihres Stilgegensatzes über, indem wir
fragen, worin die Tragik ihrer dramatischen Handlung besteht.

Achten wir auf das tragische Verhältnis von Judith und Holofernes, von Hero-
des und Mariamne oder Soemus, von Kandaules, Rhodope und Gyges, so ergibt sich
als Tragik, daß es sich um Menschen handelt, die sich finden müssen und doch
nicht finden können, die sich schließlich als Todfeinde bekämpfen und doch mit
allen Fibern ihres Wesens erkennen, daß sie ohne den anderen entwertete Halb-
heiten sind; die in aller Tiefe empfinden, daß sie zum anderen gehören, für den
anderen aufgespart sind und doch noch nicht den anderen finden dürfen. Denn
ihre Tragik ist Vorzeitigkeit; ihre Zusammengehörigkeit ist Zukunftsverheißung, die
von den Bedingungen der Gegenwart noch nicht erfüllt wird. Und doch bleibt die
Sehnsucht nach einer Gestalt des Beisammenseins zu bereiter Stunde in aller
Kampfesschärfe bestehen.

Denn ihr Kampf ist nichts als die tragische Form des wechsel-
weisen Suchens.

So bleiben denn bis zum letzten Augenblick der Handlung die Menschen bei-
einander. Je ungeheurer die Glut des Kampfes, der Sturm des Widerstandes wächst,
um so riesenhafter nur wächst die Spannkraft, mit der sie sich halten. Alle bleiben
einander erhalten in der Einheit des Kampfes, der nichts als die tragische Form des
Suchens ist. So bleibt Mariamne ewig dem Herodes erhalten, auch über ihren Tod,
durch ihr Vermächtnis an Titus; so bleibt Judith dem Holofernes erhalten durch
den Sinn ihres Schwurs, den sie ihren Stammesgenossen abnimmt; so Rhodope dem
Kandaules wie dem Gyges durch ihre letztwillige Ehe mit Gyges.

In der Tragik des Kampfes Hebbelscher Menschen bewährt sich demnach die
Kraft einer nach innen gerichteten Einheit, einer Spannkraft, die nichts aus ihrem
Bereiche sich entlockern läßt.

... Wie in einem Rubenschen Bilde die Lebensgewalt seiner Gestalten alle
Grenzen des Bildes sprengen könnte und ihre Gewalten doch nur aufeinander sich
einstellen und um so stärker die nach innen gerichtete Einheit des wechselweisen
Bedürfens betätigen. —

Grillparzers Tragik aber besteht darin, daß Menschen beisammen gestellt sind,
die beisammen nicht bleiben können. Jeder bezieht den andern auf sich und sein
eigen Bedürfnis als Mittelpunkt und muß erkennen, daß ihm der andere vielmehr alle
Bedingungen des Glücks zerstört. So ist denn sein Selbst als Mittelpunkt vom andern
nicht bereichert worden, sondern vereinsamt zum leeren Nichts. Das ist Grillparzer-
sche Tragik, daß seine Menschen daran scheitern, aus den Bedingungen der eigenen
 
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