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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Görland, Albert: Die dramatischen Stilgegensätze bei Grillparzer und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0313
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308 BEMERKUNGEN.

Genossenschaftlichkeit, geschweige Verwandtschaft in der Kampfstellung gegenüber
Medea, noch der König, Kreusa und Medea gegenüber Jason Alle verstehen ein-
ander mindestens am Schlüsse nicht mehr und zerfallen früher oder später, auch
wenn sie ursprünglich gegenseitige Annäherung zeigten. Die dramatischen Motive
Grillparzers stehen vor- und hintereinander an dramatischer Bedeutung, so daß hier
die Unterscheidung von hauptsächlichen und nebensächlichen Motiven
an ihrem Platze sind.

Wollen wir ein Gleichnis wählen, so mag hier für die »Parallelschaltung«
der Hebbelschen Motive an eine Drahtseilverbindung gedacht werden, die um so
stärker wird, je mehr Drähte in dasselbe Seil hineingedreht werden. Für die
»Nebenschaltung« der Grillparzerschen Motive kann uns das Bild einer Kette
dienen, die durch Einhängung einer Anzahl von Gliedern mit unterschiedlicher Stärke
und Tragkraft sich bildet.

Darum ist denn auch das Interesse, das wir an dem Verhältnis der Motive zu-
einander nehmen, bezüglich beider Dichter ein ganz verschiedenes. Sind die Hebbel-
schen Motive: Parallelmotive, wiewohl mit der Nuancierung des primus inter pares,
so hält das Interesse, bei selbstverständlicher Abschattung, doch das Vordergrund-
motiv mit allen anderen eines geringeren Anspruches unaufhörlich zusammen. Das
Grillparzersche Hintereinanderschalten der Motive schafft gleichsam Schichten unseres
Interesses. So können wir Sapphos zeitweilig vergessen über dem Liebesspiel
zwischen Phaon und Melitta bei der Rosenbank und müssen uns hernach erst wieder
zu unserem Vordergrundgedanken an Sappho zurückfinden. Die Gestalt des Herodes
etwa wird nicht während eines Augenblicks aus unserem Interesse verschwinden.

Wie Grillparzer seine Motive schichtet, so Dürer seine Landschaft; wie Hebbel
sine Motive trotz aller Abschattung in einem zusammenhält, so führt uns Rembrandt
vom Vordergrund seiner Landschaft in die Tiefe und wieder zurück. —

Noch manches wäre zu sagen, wir wollen es uns hier genug sein lassen.

Wie könnte nun dieser Gegensatz im dramatischen Stil mit einem Wort be-
zeichnet werden? Wölfflin wählte für solchen Gegensatz bezüglich Malerei, Plastik
und Architektur die Begriffe der Renaissance und des Barock. Es widerstrebt mir,
diese Bezeichnungen auf die Dramatik anzuwenden. Es würde zu den ärgsten Miß-
verständnissen führen, wollten wir Grillparzer den Renaissancedramatiker, Hebbel
den Barockdramatiker nennen. Wir müßten entsprechend z. B. Shakespeare einen
Barockdramatiker nennen, trotzdem er dramatisch ganz und gar im Ideengehalte der
Renaissance lebt; usw.

Nach dem Gesagten aber glauben wir ohne weiteres klar zu sein, wenn wir
Grillparzers Stil den Stil der individuell menschlichen Dramatik, Hebbels
Stil den Stil der ideell menschheitlichen Dramatik nennen.

In unseren Ausführungen sind genug Fingerzeige gegeben, um aus der Enge
unseres Themas ins Gebiet der allgemeinen Betrachtung der dramatischen Stilgegen-
sätze überhaupt übergehen und dadurch auch das Verständnis erwecken zu können
für die Erwartungen, die wir an den zu erhoffenden neuen dramatischen Stil unserer
ideen- und darum lebensgewaltigen Zeit stellen müssen.
 
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