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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0323
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318 BESPRECHUNGEN.

sophische bezeichnet, hier und in Parallelstellen (VI, 2 u. IX, 5) eine solche ästhe-
tische Besinnung von dem Künstler, aus der er dann methodisch eine Theorie der
Kunst entwickelt, um daran die überlieferten Vorschriften der Alten über den Schmuck
des Oebäudeganzen und die regelrechte Gestaltung der Einzelglieder zu erproben.
Er nimmt also eine kritische Grundlegung der Ästhetik in Angriff. Ihrem Aufbau
dient der erste Teil des Flemmingschen Buches mit Hilfe weiterer Belege aus den
anderen Traktaten (de pictura und de sculptura). Der Verfasser zeigt, daß Alberti
nicht bei dem empirisch induktiven Verfahren eines Bacon stehen bleibt, sondern,
indem er die Schönheit als etwas Gegebenes und Anerkanntes voraussetzt, »ge-
wohnheitsgemäß« das »Wesen des Gegenstandes« untersucht, und zwar nach der
Methode der Sokratischen Begriffsanalyse (in diese aber mischt er beständig seine
praktischen Folgerungen ein).

Der Selbstzweck der Kunst wird — vor Lionardo! — einerseits durch kritische
Verneinung jeder ihr innewohnenden Nebenabsicht sichergestellt, — am klarsten
für die Architektur. Bei dieser liegt zwar im Nutzen der Anlaß, nicht aber der Ur-
sprung der Kunstschöpfung. Auch bildet der Schmuck für Alberti, im Gegensatz
sowohl zu Vitruv wie zu den übrigen Renaissancetheoretikern, nicht einen äußeren
Aufputz und eine Zutat zu dieser realen Zweckmäßigkeit (des Bauwerks), — sondern
zur Schönheit, — also keine selbständige ästhetische Kategorie, da er zu ihr (durch
Überfülle und Unförmigkeit) auch in einem fehlerhaften und verkehrten Verhältnis
stehen kann. Dasselbe gilt z. B. für die Verwendung von Gold in Gemälden sowie für
die Forderung der Mannigfaltigkeit der Gestaltenbildung im Historienbilde. Demgemäß
wird von Alberti dem wechselnden und individuellen Geschmacksurteil die Bedeutung
als Quelle des Gefallens am Kunstwerk (beziehungsweise an beiden oben erwähnten Fak-
toren desselben) abgesprochen. Ist damit dem Skeptizismus, der sich gegen den subjek-
tiven Ursprung des Kunsturteils richtet, der Boden entzogen, so wird auf der anderen
Seite die Allgemeingültigkeit desselben im bejahenden Sinne auf eine dem Menschen
»angeborene innerliche Vernunft« begründet, aus der sich die Eigengesetzlichkeit
der Kunst ergibt. Zugleich lehnt Alberti den falschen Maßstab der zeitgenössischen
Naturnachahmungstheorie ab und bestimmt (IX, 5) das Ziel des Naturalismus viel-
mehr dahin, daß der Künstler nach dem Vorbilde der Alten nur dem Bildungsgesetz
der Natur nachzuspüren habe, um danach seinen freien Schöpfungen den Schein der
letzteren zu verleihen. Wir dürfen anerkennen, daß in diesem Gedankengange die
Grundanschauungen der neueren psychologischen Ästhetik keimhaft enthalten sind.
Auch sie folgert ja die objektive Geltung des Kunsturteils aus der allgemeinen
menschlichen Organisation, allerdings mit einer individuellen (subjektiven) Abstufung
desselben nach dem Gesetz der Resultantenbildung (vgl. zuletzt E. v. Ritoök, Zeit-
schrift f. Ästhetik u. allgem. Kunstwissenschaft 1910, V, S. 538). Besteht also zwi-
schen uns Übereinstimmung darin, daß die Kunst für Alberti das »Erzeugnis einer
eigengesetzlichen Bewußtseinsrichtung« ist, so muß ich hingegen bestreiten, daß diese
für ihn aus einer apriorischen Erkenntnis entspringt. Er faßt sie meines Erachtens
vielmehr als die Leistung eines »Vermögens« auf, die um so weniger auf eine
transzendente Gesetzlichkeit zu beziehen ist, als er dem »Gefühl« aktive, also spon-
tane Bedeutung beimißt. Auch Flemming verkennt nicht, daß er den Begriff der mens
vielmehr auf die aristotelisch-neuplatonische Grundkraft der Seele bezieht. Dann darf
man aber bezweifeln, daß er dieses Vermögen — in Ermangelung eines Besseren? —
nur an Stelle der transzendentalen Einheit des Bewußtseins setzt, und wird nicht
bloß einräumen müssen, daß »der Gedanke in seiner modern kritischen Fassung ihm
natürlich fremd« sei. Verzichtet er doch, wie der Verfasser bemerkt, ausdrücklich
auf eine (transzedentale) Begründung jener »angeborenen innerlichen Vernunft« und
 
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