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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Volkelt, Johannes: Illusion und ästhetische Wirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0375
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370 JOHANNES VOLKELT.

weitern, so ist das ästhetische Gebiet kein besonders ergiebiger
Boden für das Entstehen von Illusion. Im Sinne von gehemmter
Täuschungsillusion kommt sie nur auf einigen Sondergebieten der
Kunst unter besonderen Umständen zur Entfaltung; und zwar immer
in der Weise, daß die Gefahr einer Überschreitung der Grenzen der
Kunst vorliegt. Die schwebende Illusion ist weiter verbreitet.
Doch auch sie macht sich nur in bestimmten Kunstzweigen nach be-
stimmten Richtungen hin geltend. Sie begegnete uns als Tiefen- und
als Bewegungsillusion. Doch sollte damit keineswegs gesagt sein, daß
sie in den Künsten nicht auch in anderen Beziehungen zutage
trete. Das bei weitem Meiste allerdings, was naheliegenderweise als
schwebende, zwiespältige Illusion erscheinen kann, ist, genauer be-
trachtet, ein eigenartiger, in sich einiger, ruhig und rund in sich be-
schlossener Wirklichkeitseindruck. Und überhaupt erblicke ich das
Wichtigste der angestellten Betrachtungen darin, daß sich uns die Kunst-
wirklichkeit und — so darf ich im Hinblick auf Nummer 8 allgemeiner
sagen — die ästhetische Wirklichkeit als eine ureigentümliche Wirklich-
keitsweise erwies. Überall stießen wir dabei auf eigentümliche gegen-
ständliche Gestaltqualitäten und ihnen auf der subjektiven Seite ent-
sprechende eigentümliche Wirklichkeitsgefühle. Und überall war es ein
dispositionelles Wissen, das als Voraussetzung der Gestaltqualität (und
des entsprechenden Wirklichkeitsgefühls) angenommen werden mußte.
Ich möchte nicht so verstanden werden, als ob ich meinte, daß
hiermit alle Probleme, die sich an die ästhetische Wirklichkeit knüpfen,
gelöst wären. Vielmehr wird es sich weiter fragen, was für ein Sein
denn diese gegenständliche Gestaltqualität, diese gegenständliche ästhe-
tische Wirklichkeit bedeute; in welchem Verhältnis sie zu den Gegen-
sätzen von Subjekt und Objekt und von Psychischem und Physischem
stehe. In dieser Richtung bewegen sich beispielsweise die Erörterungen
Meinongs, wenn er gegen Lipps ausführt, daß die ästhetische Wirk-
lichkeit »höchstens eine Pseudoexistenz« sei, da das Kunstwerk im
eigentlichen Sinne »zeitlos« bestehe'). Dieses Beispiel soll nur die
Fragerichtung andeuten, in der sich meine Erörterungen zu halten
hätten, wenn ich die sich an die »ästhetische Wirklichkeit« knüpfenden
weiteren Probleme verfolgen wollte2).

') Alexius Meinong, Über Urteilsgefühle, was sie sind und was sie nicht sind
(1905; in den Gesammelten Abhandlungen, Bd. 1 [1914], S. 598 ff.).

2) In dem 3. System-Band bin ich auf solche Fragen zusammenhängend einge-
gangen (S. 494 ff.). Ebenso gehört manches, was der in dieser Zeitschrift (Bd. XII,
S. 399 ff.) erschienene Aufsatz über »Objektive Ästhetik« enthält, hierher.
 
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