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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Schumacher, Fritz: Die künstlerische Bewältigung des Raumes : Randbemerkungen zu Heinrich Wölfflins Buch "Kunstgeschichtliche Grundbegriffe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0403
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398 BEMERKUNGEN.

nach müheloser und völliger Faßbarkeit der künstlerischen Erscheinung und das
Bedürfnis, die Erscheinung irgendwie der völligen Faßbarkeit zu entziehen (»Klarheit
und Unklarheit«).

So kommt er zu zwei deutlich umrissenen Typen, und er vermeidet dabei mit
eigener Kunst, doktrinär zu erscheinen, denn überall fühlt man das durch, was er
einmal in die Worte zusammenfaßt: »Alles ist Übergang, und wer die Geschichte
als unendliches Fließen betrachtet, dem ist schwer zu entgegnen. Für uns ist es
eine Forderung intellektueller Selbsterhaltung, die Unbegrenztheit des Geschehens
nach ein paar Zielpunkten zu ordnen.«

Was zunächst an den Erscheinungen der Malerei entwickelt wird, überprüft
Wölfflin dann im Hinblick auf die Plastik und die Architektur und findet bei beiden
die gleichen Gesichtspunkte wieder, wobei besondere Parallelen mit der Architektur
sich ergeben, die voller Geist das scheinbar Unvergleichbare auf dem Boden dieser
Grundbegriffe unter einheitliche Formel bringen.

Hierbei bleibt Wölfflin der Baukunst gegenüber an einer Stelle des Betrachtens
stehen, die dem Architekten unserer Tage nicht weit genug vorgeschoben zu sein
scheint. Daß seine ganze Betrachtungsweise nur die bildmäßigen Wirkungen
der Architektur erfaßt, ist zunächst bereits eine einschneidende Begrenzung, aber
sie ergibt sich aus dem Umstand von selber, daß die Zusammenhänge mit den
Erscheinungen der Malerei dasjenige sind, wovon ausgegangen wird. Wölfflin will
eine Geschichte des Sehens schreiben. Das Bild, das die Architektur erzeugt, ist
das Objekt der Parallele und kann es füglich in solchem Zusammenhange auch
nur sein. Aber nicht von selber ergibt sich, daß Wölfflin bei der architektonischen
Schöpfung als E i n z e 1 gebilde stehen bleibt. Die Eindrücke, welche die Architektur
erzeugt, bestehen zu einem wichtigen Teile in solchen Bildern, die sich aus der Art
der Reihung und Gruppierung verschiedener Bauten ergeben, also aus Eindrücken,
bei denen uns künstlerisch etwas Ähnliches interessiert, wie die Regie, nach welcher
der Maler seine einzelnen Figuren in einem Gruppenbilde miteinander in Beziehung
setzt. Wir sind heute geneigt, als einen der wichtigsten Gesichtspunkte diese Art
zu betrachten, wie ein Werk der Baukunst sich in das Gefüge seiner baulichen Um-
gebung einpaßt, oder richtiger gesagt, das Gefüge eines Bautenzusammenhanges
erzeugt, — kurz, die Frage städtebaulich aufzufassen.

Es scheint fruchtbar, ja beinahe notwendig, bei dem Nachspüren nach der Art,
wie die in der Malerei gefundenen Gesichtspunkte in der Architektur zum ent-
sprechenden Ausdruck kommen, bis zur städtebaulichen Betrachtung der
Architektur vorzudringen; hier wird die Probe auf das aufgestellte Exempel
in mancher Hinsicht besonders wichtig sein.

Man kann sich bei einem Werke der Baukunst natürlich das Bild, das man in
Betracht zieht, so ausschneiden, daß man auf ein in sich geschlossenes Erzeugnis
beschränkt bleibt, und der Kunsthistoriker wird das selbstverständlich als eine
Form des Betrachtens nie unterlassen; in der Wirklichkeit aber ist das meistens nur
durch einen künstlichen Zwang möglich. Das Bild, das man sieht, ist nicht das
eine Bauwerk, sondern es ist das Bauwerk als Teil einer Straße, eines Platzes, einer
Gruppe. Im Gegensatz zu den anderen Künsten tritt uns hier eine künstlerische
Wirkung entgegen, die unter Umständen nicht aus einer einzelnen individuellen
Leistung entsteht, sondern aus dem Zusammenstimmen eines ganzen Straußes in-
dividueller Leistungen. Und vielleicht läßt sich der Zug einer Zeit ganz besonders
deutlich an der Art erkennen, wie der künstlerische Sinn auf die eigentümliche
Forderung reagiert hat, die hierdurch für die Art der Bewältigung eines »Bildes«
entsteht.


 
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