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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Schumacher, Fritz: Die künstlerische Bewältigung des Raumes : Randbemerkungen zu Heinrich Wölfflins Buch "Kunstgeschichtliche Grundbegriffe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0407
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402 BEMERKUNGEN.

Entwicklungslinie, wie Wölfflin sie zeichnet, zu verfolgen, wie sich diese Wirkungen,
die an verschiedene Kunstempfindungen rühren, die Wirkungen des Bildes und die
Wirkungen der Melodie, oder sagen wir lieber die optisch erkannten und die rhyth-
misch gefühlten Einflüsse zueinander verhalten. In der Frührenaissance, wo die
Wände des Innen- und des Außenraumes sich noch in einzelne Bilder zerlegen,
bleiben die rhythmischen Eindrücke gedämpft gegenüber den optischen. Je mehr
das Gefühl für den Raum wächst und je mehr die Wand als Einzelgebilde in den
Hintergrund tritt, wächst auch die Macht der rhythmischen Kräfte. Die große Tat
des reifen Barock ist die volle Verschmelzung rhythmischer und optischer Wir-
kungen, vergleichsweise gesprochen: die Verschmelzung der Elemente aller Künste
zu einer mächtigen Einheitskunst, der kosmischen Kunst klingender Raumgefüge.

Man sieht, alle Betrachtungen kreisen letzten Endes immer wieder um den
einen Punkt: das Verhältnis der Kunst zur Raumempfindung.

Wölfflin hat über dieses Verhältnis für die Malerei und die Plastik alles gesagt,
was zur Klärung nötig ist; aber wenn in der Malerei und Plastik alles restlos ge-
sagt ist, bleibt in der Architektur darüber hinaus noch etwas übrig, das damit noch
nicht berührt wurde.

Wenn man bei der Analyse kunstgeschichtlicher Grundbegriffe von der Malerei
ausgeht und von hier aus über die Plastik auf die Architektur hinüberschaut, so
bleiben bei der Architektur Ecken übrig, in die der Blick nicht dringt; würde man
umgekehrt schauen, von der Architektur über die Plastik zur Malerei, so würde
man alles mit dem Blick umfassen.

Vielleicht ist es zunächst nur möglich, den Blick so einzustellen, wie Wölfflin
es getan hat; aber vielleicht kommt, gefördert durch seine Ergebnisse, auch noch
einmal die Zeit, wo man ihn umgekehrt einstellt.
 
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